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Mit den Sternen nächtlich im Gespräch

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Mit den Sternen nächtlich im Gespräch
„Mit den Sternen nächtlich im Gespräch …“
Moderne japanische Haiku
übersetzt von
Oskar Benl, Géza S. Dombrády und Roland Schneider
herausgegeben von
Elisabeth Schneider und Jörg B. Quenzer
Reihe Phönixfeder 8
OSTASIEN Verlag
Der Druck erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Komatsu-Stiftung.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISSN: 1868-4866
ISBN: 978-3-940527-29-5
© 2011. OSTASIEN Verlag, Gossenberg (www.ostasien-verlag.de)
1. Auflage. Alle Rechte vorbehalten
Redaktion, Satz und Umschlaggestaltung: Martin Hanke und Dorothee Schaab-Hanke
Druck und Bindung: Rosch-Buch Druckerei GmbH, Scheßlitz
Printed in Germany
Inhalt
Vorwort
Einführung
xi
xiii
Die Gedichte
Abe Midorijo (1886–1980)
阿部みどり女
Akimoto Fujio (1901–1977)
秋元不死男
Akiyama Shûkôryô (1885–1966)
秋山秋紅蓼
Akutagawa Ryûnosuke (1892–1927)
芥川龍之介
Anzai Ôkaishi (1886–1953)
安齋櫻磈子
Awano Seiho (1899–1992)
阿波野靑畝
Furusawa Taiho (1913–2000)
古澤太穂
Hara Sekitei (1886–1951)
原石鼎
Hashimoto Mudô (1903–1974)
橋本夢道
Hashimoto Takako (1899–1963)
橋本多佳子
Hino Sôjô (1901–1956)
日野草城
Hirahata Seitô (1905–1997)
平畑靜塔
Hoshino Bakujin (1877–1965)
星野麥人
Hoshino Tatsuko (1903–1984)
星野立子
Hosomi Ayako (1907–1997)
細見綾子
2
4
6
8
10
12
14
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18
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24
28
30
32
34
v
Hosoya Genji (1906–1970)
細谷源二
Iida Dakotsu (1885–1962)
飯田蛇笏
Iida Ryûta (1920–2007)
飯田龍太
Ikenouchi Tomojirô (1906–1991)
池内友次郎
Ishibashi Hideno (1909–1947)
石橋秀野
Ishida Hakyô (1913–1969)
石田波郷
Ishikawa Keirô (1909–1975)
石川桂郎
Ishizuka Tomoji (1906–1986)
石塚友二
Itami Mikihiko (1920– )
伊丹三樹彦
Kaneko Tôta (1919– )
金子兜太
Katô Chiyoko (1909–1986)
加藤知世子
Katô Shûson (1905–1993)
加藤楸邨
Katsura Nobuko (1914–2004)
桂信子
Kawabata Bôsha (1897–1941)
川端茅舍
Kawahigashi Hekigotô (1873–1937)
河東碧梧桐
Kishi Fûsanrô (1910–1982)
岸風三樓
Kôzai Teruo (1917–1987)
香西照雄
Kubota Mantarô (1889–1963)
久保田万太郎
vi
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38
40
42
44
46
48
50
52
54
56
58
62
66
68
70
72
74
Kuribayashi Issekiro (1894–1961)
栗林一石路
Kyôgoku Kiyô (1908–1981)
京極杞陽
Maeda Fura (1884–1954)
前田普羅
Masaoka Shiki (1867–1902)
正岡子規
Matsumoto Takashi (1906–1956)
松本たかし
Matsune Tôyôjô (1878–1964)
松根東洋城
Matsuse Seisei (1869–1937)
松瀨西靑々
Mitsuhashi Takajo (1899–1972)
三橋鷹女
Mizuhara Shûôshi (1892–1981)
水原秋櫻子
Murakami Kijô (1865–1938)
村上鬼城
Nagata Kôi (1900–1997)
永田耕衣
Naitô Meisetsu (1847–1926)
内藤鳴雪
Nakajima Takeo (1908–1988)
中島斌雄
Nakamura Kusatao (1901–1983)
中村草田男
Nakamura Teijo (1900–1988)
中村汀女
Nakatsuka Ippekirô (1887–1946)
中塚一碧樓
Natsume Sôseki (1867–1916)
夏目漱石
Nozawa Setsuko (1920–1995)
野澤節子
76
78
80
82
86
88
90
92
94
98
100
102
104
106
110
112
114
118
vii
Ogiwara Seisensui (1884–1976)
荻原井泉水
Oikawa Tei (1899–1993)
及川貞
Ôno Rinka (1904–1982)
大野林火
Ôsuga Otsuji (1881–1920)
大須賀乙字
Ozaki Hôsai (1885–1926)
尾崎放哉
Saitô Sanki (1900–1962)
西東三鬼
Satô Onifusa (1919–2002)
佐藤鬼房
Sawaki Kin'ichi (1919–2001)
澤木欣一
Shimada Seihô (1882–1944)
島田靑峰
Shinohara Bon (1910–1975)
篠原梵
Sugita Hisajo (1890–1946)
杉田久女
Suzuki Murio (1919–2004)
鈴木六林
Takahama Kyoshi (1874–1959)
高濱虛子
Takahashi Awajijo (1890–1955)
高橋淡路女
Takaya Sôshû (1910–1999)
高屋窓秋
Takayanagi Jûshin (1923–1983)
高柳重信
Takeshita Shizunojo (1887–1951)
竹下しづの女
Taneda Santôka (1882–1940)
種田山頭火
viii
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126
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160
162
Tôgo Sayû (1908–1991)
藤後左右
Tomita Moppo (1897–1923)
富田木歩
Tomiyasu Fûsei (1885–1979)
富安風生
Tomizawa Kakio (1902–1962)
富澤赤黄男
Tsuda Kiyoko (1920– )
津田淸子
Ueno Yasushi (1918–1973)
上野泰
Usuda Arô (1879–1951)
臼田亞浪
Watanabe Suiha (1882–1946)
渡邊水巴
Yamaguchi Hatsujo (1906–1985)
山口波津女
Yamaguchi Seishi (1901–1994)
山口誓子
Yamaguchi Seison (1892–1988)
山口靑邨
Yoshioka Zenjidô (1889–1961)
吉岡禪寺洞
Überblick über die erwähnten Haiku-Zeitschriften
Biographien der Übersetzer
166
168
170
174
178
180
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190
192
197
199
ix
Vorwort
Im Zeitraum von der Mitte bis zum Ende der 1970er
Jahre entstand diese Sammlung moderner Haiku, ein in
Leichtigkeit und mit großem Vergnügen betriebenes, in
liebevollem Spott als „Gedicht-Kränzchen“ bezeichnetes
Herzensanliegen dreier Japanologen, die sich über ihre
Leidenschaft für japanische Kultur hinaus durch ihre gemeinsame Hamburger Zeit freundschaftlich sehr verbunden fühlten: Oscar Benl, Géza S. Dombrády und Roland
Schneider. Die von ihnen zusammengetragenen japanischen Gedichte wurden zumeist im Hause Benl in kleiner
Privatrunde diskutiert und sortiert. Erkennbar für dieses
Unterfangen waren zwei Gründe: zum einen der Unmut
über das Haiku-Bild im deutschsprachigen Raum als exotischer Gedichtform mit pathetischem Anstrich, welche
sich auf die Verherrlichung der Natur beschränkt, zum
anderen der Wunsch, diesem Klischee mit einer Auswahl
aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entgegenzutreten, die im Haiku eine lebendige Alltagslyrik Japans erkennen lässt, in seiner Entwicklung hin zu einer thematischen Vielfalt, die nahezu jeden Aspekt des täglichen Lebens zulässt.
Ein beträchtlicher Teil der zunächst ins Auge gefassten
Gedichte wurde in der Diskussion damals als thematisch
„zu abgedroschen“ verworfen. Die Besonderheit der aufgenommenen Gedichte, ihr repräsentativer und doch
auch origineller Charakter, eröffnet den liebenswertskurrilen Blick des Haiku auf die kleinen Dinge des Alltags, Aufmerksamkeit für den besonderen Charme des
Details. Doch blieb die Suche nach dem Bemerkenswerten immer auch eine Gratwanderung, hielt Originelles
nicht immer den Anforderungen an Ausdrucksstärke und
Verständlichkeit für den Leser stand. Letztere sollte durch
biographische Angaben zu den Haiku-Dichtern nach Möglichkeit erleichtert werden. Ein gewisses Maß an Unvollständigkeit wurde in Kauf genommen und dem Ziel der
Präsentation einer bislang im Deutschen nicht zugänglichen Haiku-Vielfalt untergeordnet.
Von Anfang an war geplant, diese Sammlung von Haiku zu
veröffentlichen. Ein maßgeblicher Grund für das frühere
Scheitern entsprechender Bemühungen ruft inzwischen
schon fast museales Staunen hervor: Zum damaligen Zeitpunkt – ohne PC-Unterstützung – erschien es höchst problematisch, die Anschriften von rund 80 Haiku-Dichtern
bzw. die ihrer Hinterbliebenen ausfindig zu machen, um
ihre Zustimmung zur Publikation einzuholen. Neben zahlxi
reichen leichter durchführbaren Projekten geriet das
„Kränzchen“ nach und nach aus dem Blick. Doch auch über
30 Jahre nach der Erstellung dieser Haiku-Sammlung ist die
Zahl der ins Deutsche übersetzten japanischen Haiku aus
dem 20. Jahrhundert noch so gering, daß die vorliegende
Anthologie wesentliche und neue Einblicke ermöglicht und
ihre Veröffentlichung unverändert wünschenswert erscheint, zumal das Interesse an dieser Gedichtform – auch
durch das inzwischen eigenständige deutschsprachige Haiku
– beeindruckend zugenommen hat.
Die Realisierung dieses alten Vorhabens ist für mich persönlich ein Zeichen des Dankes an die drei Sucher und
Übersetzer für ihre unschätzbare Einführung in die Welt
der japanischen Lyrik.
Bei der Vorbereitung dieser Publikation habe ich in vielfältiger Weise Unterstützung erfahren. Besonderer Dank
gebührt Professor Dr. Jörg Quenzer, der das Anliegen
der Übersetzer zu seinem eigenen machte und die ausgewählten Gedichte mit einer Einleitung versah, welche
dem Leser ein tieferes Verständnis ermöglicht; der Gendai Haiku Kyôkai (Modern Haiku Association) in Tôkyô,
vor allem Herrn Kimura Toshio für wertvolle Hinweise
und Hilfe bei der mühsamen Einholung der Autorenrechte;
Professor Nishi Masaru für seinen aufopferungsvollen Einsatz als Vermittler; Herrn Yamamori Takeshi für seine
wunderbaren Kalligraphien und seine große Hilfe bei der
Kontaktierung der Autoren; den Verlegern für ihre unkonventionelle, geduldige Betreuung und ihre unermüdlichen
Ratschläge; und schließlich all denen, die mich bei der
Arbeit an diesem für mich so bedeutsamen Anliegen in
herzlicher Verbundenheit gefördert und begleitet haben.
Hamburg, im September 2011
Elisabeth Schneider
xii
Einführung
Das Haiku und der Westen
Das japanische Kurzgedicht zu 17 Silben1, heute unter der
Bezeichnung Haiku bekannt, gehört zu den erfolgreichsten Kulturexporten Japans. Große Namen aus der Tradition – allen voran der eigentliche Begründer dieser Dichtkunst, Matsuo Bashô (1644–1694) – sind durch Übersetzungen mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum
einer literarischen Öffentlichkeit vertraut und haben Aufnahme in Literaturlexika und andere Darstellungen gefunden. Und auch außerhalb Japans hat das moderne Haiku eine große Gefolgschaft, Individuen wie Dichterzirkel,
die mit dem Verfassen von Haiku zuweilen weit mehr als
nur ein ästhetisches Vergnügen oder eine literarische
Herausforderung verbinden.
Übersehen wird dabei gerne, daß das Haiku selbst eine
lange Entwicklungsgeschichte hat. Alleine bis sich der
sogenannte „Erstvers“ (hokku) der mittelalterlichen Kettendichtung als eigenständiges Genre etablieren konnte,
vergingen Jahrhunderte. Jeder der großen Meister des
klassischen Haiku zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert, der bereits erwähnte Matsuo Bashô, Yosa Buson
(1716–1783) und Kobayashi Issa (1763–1827), beeinflußte die weitere Entwicklung durch eine, bei Bashô
sogar durch mehrere grundlegende Stilprägungen. Epochal einschneidend ist auch die Reaktion des Haiku auf
die rasante Modernisierung von Sprache und Gesellschaft in Japan am Ende des 19. und zu Beginn des 20.
1 Die formal korrekte Bezeichnung für die Lauteinheit, die der Struktur
des Haiku zugrunde liegt, ist More und nicht Silbe. Dabei handelt es
sich nicht um eine lautlich eindeutig abgeschlossene Folge, sondern
um die kleinste Zeiteinheit im Japanischen. Eine Silbe kann daher in
einer Reihe von Fällen auch aus zwei Moren bestehen.
Jahrhunderts, eine Entwicklung, die zumeist mit dem
Namen Masaoka Shiki (s.u.) verbunden wird. Und
schließlich ist die weltweite Verbreitung nach dem
Zweiten Weltkrieg zu nennen, etwa die Etablierung
eines „internationalen“ Haiku jenseits der japanischen
Sprachgesetze, weiterhin die zahlreichen Anregungen,
die für das moderne Gedicht in Europa oder Amerika
von der Begegnung mit dem Haiku ausgingen – beispielhaft lassen sich hier nennen Ezra Pound, Giuseppe Ungaretti, Günter Eich oder Jannis Ritsos.
Diese Vielfalt und Dynamik der „kleinsten poetischen Gattung der Welt“, wie das Haiku oft bezeichnet wird, spiegelt
sich in der westlichen Rezeption bislang nur wenig wider.
Unterschiedslos finden sich in den Anthologien und einschlägigen Sammelwerken Beispiele von Bashô oder Buson
neben und zwischen denen von Masaoka Shiki oder aktueller Autorinnen und Autoren. Auch der „Ton“ der Übersetzungen läßt unterschiedliche Autorenstile und Eigenheiten
im Wortgebrauch einzelner Epochen allenfalls erahnen.
Und noch bei der Diskussion der poetologischen Grundlagen – etwa das Regelwerk wie Jahreszeitenworte, Silbenzahl oder innere Struktur des Gedichts – werden Argumente aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen
Schulen ohne weitere Differenzierung präsentiert.
Mit der Konzentration auf die entscheidende Phase der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der sich das moderne
Haiku erstmals auch als breite „Gemeinkunst“ in Japan etablieren konnte, schließen die hier vorgestellten Gedichte
eine große Lücke in der Darstellung. Die ausgewählten
Gedichte lassen zugleich erahnen, mit welcher Begeistexiii
rung die neuen Freiheiten des Dichtens, sowohl die größere thematische Breite, als auch die Möglichkeit, die
Gegenwartssprache zu verwenden, aufgegriffen wurden.
Um diese Neuerungen angemessen würdigen zu können,
ist jedoch zunächst ein Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieser Form erforderlich.
Das traditionelle Haiku
Das klassische Haiku von Bashô und seinen Schülern hat
seine Wurzeln in der mittelalterlichen Kettendichtung.
Diese mehr oder minder raffinierte Reihung von Versen
zu abwechselnd 17 und 14 Silben hatte zu Beginn des 17.
Jahrhunderts eine Tendenz zum (Wort-)Spielerischen, ja
zur Wortartistik erhalten, dabei neues Vokabular und neue
Themen aufgenommen. Bashô verband kongenial beide
Traditionen – das Stilmittel der Pointe oder der unvorhergesehenen, witzigen Wendung mit einem außerordentlich
breiten Wissen um die literarische Tradition, insbesondere
das ältere höfische Kurzgedicht (waka) und die Kettendichtung selbst. Zugleich forderte er eine Einstellung des Dichters, die erneut an ein mittelalterliches Verständnis anschloß: Dichten als semi-religiöse Haltung, als Lebensweise
– als ein Erkenntnisweg, der über das literarische Handwerk
oder das Vertrautsein mit dem Kanon hinausgeht. Dabei
bezog er sich vor allem auf zwei geistesgeschichtliche Traditionen, die er für seine poetischen Bemühungen fruchtbar
machte: den Buddhismus und daoistische Vorstellungen.
Eine Reihe von Merkmalen, wie sie für die Gedichte der
Bashô-Schule (shômon) typisch sind, findet man bis heute in
zahlreichen Abhandlungen oder im Selbstverständnis der
Dichter. Zumeist lassen sich traditionelle Haiku-Gedichte
als – überraschende, unerwartete, neuartige – Verbindung
zweier Sphären charakterisieren. Bashô realisierte dies vielfach als Verbindung unterschiedlicher Elemente: Anleihen
aus der literarischen Tradition, erkennbar durch einen spezifischen Wortschatz und eine besondere Grammatik, stellte
er sprachliche Wendungen oder Phänomene aus dem Allxiv
tagsleben gegenüber. Die Trennungen zwischen diesen
Elementen verlaufen zumeist an einem der beiden rhythmischen Einschnitte in der Gliederung von 5/7/5 Silben. Im
traditionellen Haiku wurden derartige Einschnitte nicht nur
durch den Wortschatz, sondern zudem durch den Gebrauch
spezieller Sprachmarkierungen (sogenannter „Trennsilben“,
kireji), ausgewiesen. Die Auswahl der poetischen Themen
oder Bilder orientierte sich bevorzugt an der Stimmung
(„Atmosphäre“) einer Szene.
Ein Regelelement, das selbst in der modernen Tradition erst
sehr spät in Frage gestellt wurde, ist die Zuordnung eines
Gedichts im Reigen der Jahreszeiten. Diese Regel erfordert
die Verwendung festgelegter (Natur-)Phänomene, als „Jahreszeitenwort“ (kigo) bezeichnet, die zum Grundwissen
einer Dichterin oder eines Dichters gehörten beziehungsweise in zum Teil umfangreichen Nachschlagewerken festgehalten wurden. Neben der Dimension der Zeit kam auch
dem Raum zusätzliche Bedeutung zu: Unmittelbarer oder
mittelbarer (Entstehungs-)Hintergrund eines Gedichts
konnten historisch oder literarisch wichtige Orte sein; zum
Teil waren sie bereits alten Datums, zum Teil bekamen sie
erst durch Bashôs zahlreiche literarische Reisebeschreibungen einen hohen Stellenwert in der Rezeption.
Haiku-Dichtung in der damaligen Zeit war immer auch
Teil literarischer Kommunikation: Im freundschaftlichen
Austausch wurden Gedichte kalligraphisch gestaltet und
weitergegeben. Die zusätzliche Komponente der visuellen Verteilung der Schriftzeichen auf einem Blatt Papier,
gegebenenfalls mit einer kleinen Skizze oder einem
Tuschbild versehen, bot den Dichter-Kalligraphen große
Freiheiten, die verschiedenen Textteile in ein schöpferisches Spannungsverhältnis zu setzen und damit unterschiedliche Interpretationen zu suggerieren.
Sämtliche der genannten Merkmale erforderten für den
richtigen „Genuß“ eines Gedichts ein hohes Maß an
Vertrautsein – mit dem Genre selbst, seinen Regeln und
seinen Vorbildgedichten, darüber hinaus aber auch mit
den kanonischen Werken aus der klassischen Literatur in
Japan und China, derer sich die Dichter oft mit Anspielungen bedienten. Entsprechend überschaubar war auch
die Zahl derjenigen, die diese Kunst pflegte.
Die Entstehung des modernen Haiku
Das moderne Haiku, dem – mit kleineren Abstrichen –
alle in dieser Sammlung vertretenen Dichterinnen und
Dichter verbunden sind, läßt sich, ebenso wie die oben
skizzierte Etablierung des Genres, auf das Wirken vornehmlich einer Persönlichkeit zurückverfolgen, des Dichters und Kritikers Masaoka Shiki (1867–1902). Hintergrund seiner Pionierleistung ist der ungeheure Modernisierungsprozeß, den Japan ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, nach gut 200 Jahren der Abgeschlossenheit, durchlief; ein Prozeß, der nicht nur politische und soziale Umwälzungen mit sich brachte, sondern neben den intensiven Kontakten mit der westlichen Kultur auch eine radikale Änderung der Sprache. In der Literatur bedeutete
dies vor allem das erfolgreiche Bemühen, die bis dahin
übliche Trennung zwischen Schrift- und Umgangssprache
zu überwinden.
Auf Masaoka Shiki geht die Prägung der heute geläufigen
Bezeichnung „Haiku“ zurück, die den traditionelleren
Begriff des „Erstverses“ (hokku) ablösen sollte. Er wirkte
sowohl als Dichter wie als Kritiker und Herausgeber.
Eine solche Doppelrolle war nicht neu, auch von Bashô
haben sich viele Kommentare zu Gedichten seiner Schülerschaft erhalten, auch Bashô lenkte seine Schule durch
die Aufnahme (oder Ablehnung) von Gedichten anderer.
Modern ist jedoch der Ort der Kritik: Zeitschriftenkolumnen, Aufsatzsammlungen und andere Publikationen
– damit erreichten derartige Äußerungen ein sehr viel
breiteres Publikum, wurden in ganz Japan gelesen und
diskutiert. Angeregt durch den kulturellen Import aus
Europa vertrat Shiki dabei einen impressionistischen
Realismus (shasei), der die visuellen Qualitäten des Haiku betonte und dabei zugleich an Prinzipien der (westlichen) Malerei anzuknüpfen versuchte.
Zwei Schüler und Mitarbeiter von Shiki waren bestimmend
für die folgenden Jahrzehnte: Kawahigashi Hekigotô
xv
(1873–1937) und Takahama Kyoshi (1874–1959); beide
stammten wie ihr Lehrer aus der Stadt Matsuyama. Letzterer entwickelte sich als Herausgeber der einflußreichen
Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“) zum konservativen
Antipoden aller Erneuerungsbestrebungen, seine Schule
sollte allein nach Zahlen die nachfolgenden Jahrzehnte
dominieren. Viele zeitgenössische Dichtergruppen gewannen ihr eigenes Profil zunächst in der Auseinandersetzung
mit Kyoshi und seiner Betonung traditioneller Formen,
insbesondere seinem Beharren auf „Blümchen-undVögelchen“-Themen (kachô fûei, freier: „Naturschilderungen“), der leitenden Ideologie des Hototogisu.
Auch Hekigotô entwickelte den Stil seines Lehrers Shiki
weiter, allerdings mit entgegengesetzter Tendenz. Unter
dem Slogan „Haiku im Neuen Stil“ (Shinkeikô haiku) setzte
er sich vom visuellen Realismus Shikis ab und propagierte
eine stärkere Nähe zur Lebenswirklichkeit. Sein eigener
Schüler Ogiwara Seisensui (1884–1976) wiederum propagierte die Überwindung der festen Silbenform von
5/7/5 Moren und pries stattdessen die poetischen Möglichkeiten des „freien Rhythmus“ (jiyûritsu), den in der
Folge viele Dichter aufgriffen.
Eine andere Entwicklung, die ebenfalls als Sezession von
Hototogisu begann, ist die „Neue Haiku-Bewegung“ (Shinkô
haiku), eine Sammelbezeichnung für neue Tendenzen im
Haiku seit 1931, angestoßen durch Mizuhara Shûôshi (1892–
1981) und Yamaguchi Seishi (1901–1994). Andere Mitglieder dieser Bewegung gingen sogar soweit, den Verzicht auf
das Jahreszeitenwort zu fordern. Mit dem Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen Japans in China 1937 wurde,
u.a. unter dem Einfluß von Yamaguchi Seishi, erstmals auch
das Thema des Krieges aufgegriffen, was zur Überwachung
dieser Dichter durch die politische Polizei führte.
Politisch deutlicher positioniert waren bereits in den 20er
und 30er Jahren einige Haiku-Gruppen und ihre Zeitschriften, die der breiten Strömung der „Proletarischen
Literatur“ nahestanden. Viele ihrer Mitglieder, etwa eine
Dichtergruppe, die sich an der Universität Kyôto gebildet
hatte (Kyôdai haiku), wurden in zwei Wellen 1940 und
1941 verhaftet (sog. Shinkô haiku dan'atsu jiken). Ihre Publikationsorgane wurden verboten, einige Dichter starben
in Haft oder mittelbar an deren Folgen. Viele der Verfolgten gehören in der Nachkriegszeit zu den wichtigen Exponenten des zeitgenössischen Haiku.
Themen und Institutionen
Das moderne Haiku öffnet sich in den vergangenen 100 Jahren neben den klassischen Motiven aus dem Bereich Naturphänomene und Landschaft einer ganzen Reihe von neuen
Themenfeldern. Zum Teil werden sie bereits als eigene
„Genres“ in Abhandlungen oder Lexika aufgeführt oder als
Charakterisierung von einzelnen Dichtern oder Anthologien
verwendet. Vielfach lassen sie sich als (Neu-)Entdeckung der
eigenen Lebenswelt beschreiben: Arbeitswelt und Freizeit
bis hin zum Sport, weiterhin die zwischenmenschlichen
Beziehungen in allen Facetten – mit wenigen Ausnahmen
xvi
undenkbar für einen Dichter der klassischen Zeit, dies als
Ausdruck der eigenen Biographie zu tun, wie es mittlerweile
selbstverständlich geschieht! Damit verbunden ist die Kategorie der sogenannten „Küchen-Gedichte“, die sich in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte, d.h. das Thema
Familie und Alltagsleben aus der Sicht der Hausfrau – ein
Novum auch insofern, als Frauen in der traditionellen HaikuGesellschaft nur selten die Teilnahme erlaubt gewesen war.
Ein weiteres Thema, das viele Anthologien durchzieht, ist die
Erfahrung der Krankheit. Mangelernährung und damit ver-
bundene Krankheiten, insbesondere Tuberkulose, trafen
viele Literaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
hinzu kamen Erfahrungen wie Krieg oder Gefängnis – auch
hier beeindruckt die Offenheit, zum Teil Schonungslosigkeit, mit der das eigene Leiden oder der körperliche Verfall
beschrieben und zugleich in einen ästhetischen Erfahrungszusammenhang gestellt werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg weiteten sich die vielfältigen Aktivitäten in Form zahlreicher großer und kleiner
Zeitschriften oder institutionalisierter Gruppierungen aus.
Viele Haiku-Vereinigungen treffen sich lokal, regional
und national in regelmäßigen Abständen, daneben existiert eine große Anzahl von unabhängigen Haiku-Zirkeln
(kukai). Haiku-Dichten, auch das gehört zum modernen
Haiku, beschränkt sich endgültig nicht mehr auf Literaten
oder Bevölkerungsgruppen der Bildungsschicht, sondern
ist zu einer poetischen Form der breiteren Bevölkerung
geworden, an der sich Schüler ebenso versuchen wie
Seniorenclubs, einfache Angestellte wie Kulturträger, ein
Genre, das in der Werbung ebenso Verwendung finden
kann wie beim geselligen Beisammensein.
Ein wichtiger Grund für die Popularität des Genres ist –
neben der sprachlichen Erneuerung zu Beginn des 20.
Jahrhunderts – darin zu sehen, daß sich das moderne
Haiku rasch neuer Medienformen bediente und bedient.
Seit Masaoka Shiki haben große Tageszeitungen regelmäßige Haiku-Kolumnen, in denen Einsendungen der Leserschaft veröffentlicht und besprochen werden; zu Beginn
des 21. Jahrhunderts organisieren sich viele Haiku-Zirkel
parallel dazu auch im Internet. Wichtigstes Organ der
verschiedenen Dichterkreise und -gruppen im 20. Jahrhundert waren jedoch die institutionellen Zeitschriften
(vgl. die Auswahlliste im Anhang). Die Aufnahme eingereichter Gedichte in ein solches Organ konnte einer Aufnahme in den engeren Kreis einer Dichtergruppe gleichkommen; umgekehrt läßt sich der Wechsel zu einer anderen Zeitschrift oder gar eine Neugründung auch mit einer
thematischen oder stilistischen Neuausrichtung erklären.
Ein weiteres modernes Mittel der Organisation und
Verbreitung sind allgemein zugängliche Preisausschreiben.
Die kritische Bewertung von Gedichten ist so alt wie das
Genre selbst, viele Haiku-Meister der Vormoderne fanden
ein Auskommen u.a. im Beruf des Beurteilens (tenja) von
Gedichten. Neu ist die mediale Breite: Fast sämtliche große
Haiku-Vereinigungen oder Verlagsgruppen loben regelmäßig Preise aus, die das beste Gedicht oder die besten Gedichte, zuweilen zu vorgebenen Themen, auszeichnen.
Namenspatrone können berühmte Haiku-Dichter der Vergangenheit sein, aber auch historische Anlässe, etwa die
Erinnerung an die Atombombenabwürfe von Hiroshima
und Nagasaki, oder profaner eine Blutspendeaktion des
Japanischen Roten Kreuzes. Und schließlich hat eine Reihe
von landesweit aktiven Firmen die Ausschreibung von
Haiku-Preisen als Teil des kulturellen Marketings entdeckt.
xvii
Zu dieser Ausgabe
Die Auswahl der Gedichte und ihre Anordnung geht auf die
drei Übersetzer zurück. Auch die biographischen Kurzangaben zu Beginn jedes Eintrags, die in ihrer knappen Pointierung vielfach den Blick auf wichtige biographische Themen der Zeit lenken, stammen im wesentlichen von ihnen.
Der Mitherausgeber hat in das hinterlassene Textkonvolut
behutsam eingegriffen, wo er mit gutem Grund vermuten
konnte, daß die Übersetzer an dieser Stelle ebenfalls noch
einmal angesetzt hätten – weil ein Begriff oder ein Bild noch
unklar, eine Lesung nochmals zu eruieren waren.
Übersetzen von Lyrik ist immer auch Interpretation. Die
Kunst des Übersetzens wird beim Haiku aber nicht allein
durch die äußerst knappe Form herausgefordert, sondern
überdies durch die Spannung zwischen der Präzision jedes
einzelnen Wortes und der Mehrdeutigkeit, der Vielfalt der
Assoziationen, die zwischen den einzelnen Worten und den
Gedichtteilen entstehen können. Hier auch in der Zielsprache die Waage zu halten zwischen genauer Wortwahl und
poetischem Mehrwert, ist eine ganz eigene Aufgabe, die
großes sprachliches Wissen im Japanischen, überdies auch
eine besondere Feinfühligkeit im Deutschen verlangt. Für
den Mitherausgeber bedeuteten diese Herausforderungen
jedoch zugleich: Wenn die Textvorlage der drei Übersetzer
einer eher eigenwilligen, aber durchaus denkbaren Interpretation folgte, wurde sie beibehalten, auch wenn andere Aspekte oder Deutungen des Gedichts dadurch in den Hintergrund geraten.
Für viele der hier übersetzten Gedichte ist eine Tendenz
zum freien Umgang mit den traditionellen Formvorgaben,
insbesondere der Silbenstruktur von 5/7/5, bezeichnend.
Das bringt das Problem der Wiedergabe der Zeilentrennung mit sich. Hier wurde pragmatisch vorgegangen: So
weit möglich, wurde die rhythmische Dreiheit, die der
xviii
ursprünglichen Haiku-Form zugrundeliegt, durch eine Verteilung der Umschrift des Gedichttextes auf drei Zeilen zu
entsprechen versucht. Das Ergebnis ist nicht immer befriedigend; sprachspielerische Trennungen innerhalb eines
Wortes etwa, die für den Muttersprachler wahrnehmbar
sind, ließen sich nicht reproduzieren.
Die Wiedergabe der Originale auf der linken Seite folgt
den jeweiligen Anthologien, denen die Übersetzer sie entnommen haben (vgl. das Literaturverzeichnis). Da diese
Sammlungen selbst auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Konventionen entstanden und sich unterschiedlicher
Quellen bedienten, führt dies zu einem inkonsequenten
Gebrauch von Schriftvarianten der chinesischen Zeichen
(Kanji) oder der japanischen Silbenschriften (Kana). Es
erschien jedoch wenig sinnvoll, diese Unterschiede im
nachhinein zu vereinheitlichen, haben die Dichterinnen und
Dichter ihre Werke doch selbst im Spannungsfeld unterschiedlicher Verschriftungsformen verfaßt oder in Anthologien in unterschiedlicher Schreibweise aufgenommen.
Literaturhinweise
Gendai haikushû; hrsg. von Matsune Tôyôjô. Tôkyô: Chikuma shobô, 1958 (= Gendai Nihon bungaku zenshû;
91)
Shôwa tanka-, Shôwa haikushû; hrsg. von Kubota Utsubo
und Iida Dakotsu. Tôkyô: Kadokawa shoten, 1958 (=
Shôwa bungaku zenshû; 41)
Waka-, haiku-hen; hrsg. von Oyama Tokujirô. Tôkyô:
Shun'yôdô, 1932 (= Meiji Taishô bungaku zenshû; 26)
Yamamoto, Kenkichi: Teihon Gendai haiku. 11. Auflage.
Tôkyô: Kadokawa shoten, 2007 (= Kadokawa sensho;
292)
Masaoka Shiki. Tôkyô: Shun'yôdô, 1931 (= Meiji Taishô
bungaku zenshû; 20)
Akutagawa Ryûnosuke zenshû, 5. Tôkyô: Iwanami shoten,
1928
Natsume, Sôseki: Haiku-, shishû. Tôkyô: Iwanami shoten,
2003 (= Sôseki zenshû; 17)
Haibungaku daijiten; hrsg. von Ogata Tsutomu [u.a.].
Tôkyô: Kadokawa gakugei shuppan, 1995.
Gendai haiku daijiten; hrsg. von Yamashita Ikkai [u.a.].
Tôkyô: Sanseidô, 2008
Murayama, Kokyô; Yamashita, Kazumi: Haiku yôgo no kiso
chishiki. 15. Auflage. Tôkyô: Kadokawa shoten, 2001
(= Kadokawa sensho; 144)
Bashô (Matsuo Bashô): Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland; übers. und hrsg. von G. S. Dombrady. Mainz:
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1985 (= Handbibliothek Dieterich; 2)
Bashô (Matsuo Bashô): Sarumino: Das Affenmäntelchen;
hrsg. und aus dem Jap. übertr. von G. S. Dombrady.
Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1994.
Buson (Yosa Buson): Dichterlandschaften; hrsg. und übers.
von G. S. Dombrady. Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1992 (= Handbibliothek Dieterich)
Issa (Kobayashi Issa): Mein Frühling; übertr. aus dem Jap.
von G. S. Dombrady. Zürich: Manesse, 1983 (= Manesse Bibliothek der Weltliteratur)
Kobayashi Issa: Die letzten Tage meines Vaters; aus dem Jap.
übertr. sowie mit einem Nachwort und Anmerkungen
versehen von G. S. Dombrady. Mainz: Dieterich’sche
Verlagsbuchhandlung, 1985 (= Handbibliothek Dieterich; 3)
Far Beyond the Field: Haiku by Japanese Women; übers. und
hrsg. von Makoto Ueda. New York: Columbia University Press, 2003.
Schneider, Roland: „,Nomen est omen‘ – Bemerkungen
zur paratextualen Funktion von Pseudonymen in japanischer Angestelltenlyrik (sara-sen)“, in: Anbauten Umbauten: Beiträge zur Japanforschung: Festgabe für Wolfgang Schamoni zum 60. Geburtstag von seinen Schülern, Mitarbeitern
und Kollegen; hrsg. von Wolfgang Seiffert und Asa-Bettina Wuthenow. München: Iudicium, 2003, S. 139–148.
xix
Die Übersetzer
Roland Schneider, Oscar Benl und Géza S. Dombrády (von links nach rechts)2
2 Anlässlich des 65. Geburtstages von Oscar Benl lud der Fotograph dieses Bildes, Heinz G. Bulgrin, damals Leiter der Graphischen Werkstätten
Lübeck und mit der Familie Benl eng befreundet, die Runde der Übersetzer mit ihren Frauen zu einem Wochenende in Schneverdingen ein, wo
auch eine Fahrt durch die Heide in der Pferdekutsche unternommen wurde.
Die Gedichte
阿部みどり女
Abe Midorijo (1886–1980)
Dichterin aus Sapporo, kann die Mittelschule krankheitshalber nicht beenden, geht 1909 nach
Tôkyô, heiratet und kränkelt jahrelang weiter. Durch Takahama Kyoshi* angeregt, beginnt sie
1915 Haiku zu dichten, gleichzeitig ist sie Malerin. Die von ihr begründete Zeitschrift Komakusa
(„Doppelsporn“) betreut sie von ihrem Wohnort Sendai aus.
暁
え
か
け
て
蟲
の
音
へ
り
に
け
り
2
五
重
の
塔
の
朱
は
朱
か
ら
ず
冬
日
落
つ
踏
切
ベ
ル
霧
の
奥
よ
り
蟲
の
如
一
人
送
り
秋
の
座
敷
に
も
ど
り
け
り
熱
の
子
に
遠
雷
の
風
東
よ
り
netsu no ko ni
enrai no kaze
higashi yori
Bis zu dem fiebernden Kind –
vom Osten der Wind
eines fernen Sommergewitters
hitori okuri
aki no zashiki ni
modorikeri
Ihn nur hab’ ich
begleitet, kehre ins
herbstliche Zimmer zurück
fumikiri-beru
kiri no oku yori
mushi no goto
Klingel am Bahnübergang:
aus tiefem Nebel,
wie leises Zirpen …
gojû no tô no
shu wa akakarazu
fuyubi otsu
Das Rot der fünfstufigen Pagode,
verblasst in der
sinkenden Wintersonne
akatsuki he
kakete mushi no oto
herinikeri
Bis zum Tagensanbruch
reicht der Insekten Gezirp,
nimmt dann ab …
3
秋元不死男
Akimoto Fujio (1901–1977)
Aus Yokohama, verliert früh den Vater und wächst in großer Armut auf. Beginnt 1930 unter
dem Einfluß von Awano Seihô* zu dichten, zunächst unter dem Namen Higashi Kyôzô. Veröffentlicht unter anderem in Dojô („Auf der Erde“). Bei der Verfolgung der neuen HaikuBewegung in Tôkyô wird Akimoto Fujio mit weiteren 12 Haiku-Dichtern im Februar 1941
inhaftiert. Gehört nach dem Kriegsende zur Redaktion der Zeitschrift Tenrô („Sirius“) von Yamaguchi Seishi*.
す
み
れ
踏
み
し
な
や
か
に
行
く
牛
の
足
4
雪
し
き
り
鐵
管
の
中
夜
と
な
る
獨
房
の
冬
日
わ
が
手
に
蠅
す
が
る
愛
す
と
き
水
面
を
椿
寢
て
流
る
aisu toki
mizumo wo tsubaki
nete nagaru
In Liebesgedanken –
auf dem Wasser treiben liegend
Kamelienblüten
dokubô no
fuyubi waga te ni
hae sugaru
Wintertag
in der Einzelzelle – an meine Hand
klammert sich eine Fliege
yuki shikiri
tekkan no naka
yoru to naru
Dichter der Schneefall.
Im Innern der Eisenröhre
wird es Nacht
sumire fumi
shinayaka ni yuku
ushi no ashi
Auf Veilchen
treten sie sanft: anmutig schreiten
die Rinderhufe
5
Akiyama Shûkôryô (1885–1966)
秋山秋紅蓼
Aus der Yamanashi-Gegend. Reicht seine Shi-, Tanka- und Haiku-Gedichte seit frühester Jugend bei Zeitschriften ein und wird, angefangen bei Hototogisu („Bergkuckuck“), Mitarbeiter
vieler Gedichtorgane. Seit seiner Bekanntschaft mit Ogiwara Seisensuis* Haiku-Dichtung ist er
für die nächsten vierzig Jahre Verfechter dieses freien Stils und besonders engagierter Mitarbeiter an Sôun („Wolkenbänder“).
炭
の
音
き
ん
き
ん
鳴
る
ほ
ど
に
山
の
堅
い
炭
火
に
な
る
6
雀
鳴
く
や
こ
の
朝
の
よ
い
生
活
が
は
じ
ま
る
か
も
知
れ
ず
東
海
道
ど
の
驛
に
も
止
る
汽
車
に
乗
り
駿
河
の
富
士
道
長
の
榮
華
の
月
が
今
も
出
て
た
し
か
に
出
て
い
る
か
た
つ
む
り
富
士
の
見
え
る
方
へ
歩
い
て
ゆ
く
katatsumuri
Fuji no mieru hô he
aruite yuku
Dahin, wo hoch
der Fuji ragt, kriecht eine Schnecke
wacker ihres Weges …
Michinaga no eiga no
tsuki ga ima mo dete
tashika ni dete iru
Der Mond, den Michinaga* besang,
dieser Prachtmond – jetzt, ja,
geht er ganz gewiß auf!
Tôkaidô dono eki ni mo
tomaru kisha ni nori
Suruga no Fuji
Auf der Tôkaidô-Strecke
nehme ich den Bummelzug,
den Fuji des Suruga-Landes zu sehn!
suzume naku ya
kono asa no yoi seikatsu ga
hajimaru kamoshirezu
Die Spatzen tschilpen –
vielleicht beginnt mit diesem Morgen
ein schöneres Leben
sumi no ne kin-kin
naru hodo ni yama no katai sumi
hi ni naru
Holzkohle knistert –
mit jedem Knacken wird diese harte
Bergholzkohle Feuer!
*
Michinaga: Fujiwara no Michinaga (966–1027), mächtigster und
bedeutendster Adeliger der höfischen Zeit.
7
Akutagawa Ryûnosuke (1892–1927)
芥川龍之介
Aus Tôkyô stammender Schriftsteller von Weltruf. Ein vielseitiger Student, Absolvent der
Universität Tôkyô im Fach Englische Literatur, Übersetzer von Yeats und Anatole France.
Seine Novellen, von stilistischer Brillianz, sind geniale Adaptionen aus dem japanischen Schrifttum. Zusammen mit seinen Essays erscheinen sie ab Mitte 1919 in der Tageszeitung Mainichi
shimbun. 1921 bereist er fünf Monate lang China. Danach verschlimmert sich sein Nervenleiden, bis er 1927 freiwillig aus dem Leben geht.
水
洟
や
鼻
の
先
だ
け
暮
れ
残
る
8
初
秋
の
蝗
つ
か
め
ば
柔
ら
か
き
兎
も
片
耳
垂
る
る
大
暑
か
な
庭
土
に
皐
月
の
蝿
の
親
し
さ
よ
労
咳
の
頬
美
し
や
冬
帽
子
rôgai no
hoo utsukushi ya
fuyubôshi
Die schönen
Wangen einer Schwindsüchtigen
unter der Wintermütze!
niwatsuchi ni
satsuki no hae no
shitashisa yo
Im Gartensand die
Fliegen aus einer Regennacht –
mir wohlvertraut!
usagi mo
katamimi taruru
taisho kana
Selbst der Hase
läßt das eine Ohr hängen –
in dieser Hitze!
hatsuaki no
inago tsukameba
yawarakaki
An einem frühen Herbsttag
Heuschrecken sammeln –
wie weich zu fühlen!
Selbstspott
mizubana ya
hana no saki dake
kurenokoru
Meine Schnupfnase!
Nur ihre Spitze bleibt sichtbar
in der Dunkelheit
9
Anzai Ôkaishi (1886–1953)
安齋櫻磈子
Aus einer alten Samurai-Familie der Präfektur Miyagi stammend, erlernt er bei dem universell
gebildeten Sugawara Shichiku (1863–1919) auch das Haiku-Dichten. Kawahigashi Hekigotô*
wird auf ihn aufmerksam und veröffentlicht seine Werke. Mit Dichtern dessen Kreises pflegt er
freundschaftlichen Umgang, darunter Ogiwara Seisensui* und Ôsuga Otsuji*. Wird Mitarbeiter
der Zeitschrift Kaikô („Meeresrot“). Auch durch Miszellenwerke bekannt geworden.
舟
を
上
れ
ば
陸
の
雑
音
蜩
に
10
茸
の
香
を
し
ぐ
れ
の
羽
織
た
ゝ
む
時
夜
の
海
の
一
艘
一
燈
の
走
り
秋
と
思
ふ
轟
々
さ
み
だ
れ
の
河
汽
車
は
一
汽
笛
に
て
渡
る
少
女
の
反
抗
は
肩
に
し
た
桃
色
の
日
傘
く
る
く
る
廻
は
す
shojo no hankô wa
kata ni shita momoiro no higasa
kuru-kuru mawasu
Widerspenstig’ Mädchen:
Den pfirsichroten Sonnenschirm
läßt sie an ihrer Schulter kreiseln!
gô-gô samidare no
kawa kisha wa
hitokiteki nite wataru
Über den Fluß,
vom Sommerregen angeschwollen,
rast pfeifend ein Zug!
yoru no umi no
issô ittô hashiri
aki to omou
Durch das nächtliche Meer
eilt leuchtend ein Schiff.
Ich spüre den Herbst …
kinoko no ka wo
shigure no haori
tatamu toki
Duft von Pilzen
beim Ausklopfen meines
regennassen Umhangs
fune wo noboreba
riku no zatsuon
higurashi ni
Nachdem ich an Bord ging,
weicht der geschäftige Lärm
dem Zirpen von Zikaden …
11
Awano Seiho (1899–1992)
阿波野靑畝
Aus der Präfektur Nara. Durch Takahama Kyoshi* in den Stil des „objektiven“ Haiku der Naturbeschreibung (shasei) eingeführt. Seit 1932 ständiger Mitarbeiter an Hototogisu („Bergkuckuck“). Unterhält seit 1929 eine eigene Literaturzeitschrift Katsuragi („Der Berg Katsuragi“).
老
人
の
ヘ
ル
ン
を
語
る
秋
の
宿
12
疊
ふ
む
夏
足
袋
映
る
鏡
か
な
足
音
が
か
た
ま
つ
て
來
る
寢
釋
迦
か
な
汝
と
我
相
寄
ら
ず
と
も
春
惜
む
ル
ノ
ア
ル
の
女
に
毛
絲
編
ま
せ
た
し
Runoaru no
onna ni keito
amasetashi
Renoirs Mädchengestalten
möcht’ ich gern
stricken sehen!
nare to ware
aiyorazu tomo
haru oshimu
Wir sind uns nicht
nähergekommen – hab’ dennoch
jenen Frühling im Sinn!
ashioto ga
katamatte kuru
nejaka kana
Immer die lauten
Schritte der Besucher –
Oh, schlafender Buddha!
tatami fumu
natsutabi utsuru
kagami kana
Sommersocken
auf Matten schreitend
nur im Spiegel zu sehen
rôjin no
Herun wo kataru
aki no yado
Über den alten Hearn*
Gespräche führen in der
Herberge im Herbst …
*
Lafcadio Hearn (1850–1904), englischer Schriftsteller, der durch
seine Adaptionen japanischer Motive bekannt wurde.
13
Furusawa Taiho (1913–2000)
古澤太穂
Aus der Präfektur Toyama. Schließt im Fach Russische Literatur an der Universität Tôkyô ab,
wird Angestellter einer Firma für Verpackungsmaterial. Mit Tuberkulose im Krankenhaus,
beginnt er, angeregt durch Mizuhara Shûôshis* Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“), Haiku zu
dichten. Katô Shûson* wird sein Lehrer, er selbst wird Mitarbeiter an der Zeitschrift Kanrai
(„Wintergewitter“). Später Gründer der Zeitschrift Dôhyô („Wegweiser“).
寒
夜
わ
が
醉
え
ば
生
る
る
金
の
虹
14
で
で
む
し
が
旭
へ
角
か
ざ
し
子
ら
の
日
だ
孤
兒
た
ち
に
映
畫
く
る
日
や
燕
の
天
鵙
鳴
く
や
寢
こ
ろ
ぶ
胸
へ
子
が
寢
こ
ろ
ぶ
ロ
シ
ヤ
映
畫
み
て
き
て
冬
の
に
ん
じ
ん
太
し
Roshia eiga
mite kite fuyu no
ninjin futoshi
Komme eben
aus einem russischen Film –
so dicke Winterrüben!
mozu naku ya
nekorobu mune he
ko ga nekorobu
Ein Neuntöter schreit.
Ich wälze mich im Schlaf,
mein Kind wälzt sich zu mir
Zwei Gedichte im Waisenhaus Nakazato
kojitachi ni
eiga kuru hi ya
tsubame no ten
Zu den Waisenkindern
kommt das Kino:
Ein Himmel voller Schwalben!
dedemushi ga
hi he tsuno kazashi
kora no hi da
Schneckenfühler,
der Sonne entgegengestreckt –
heute ist Kinderfest!
kan'ya waga
yoeba umaruru
kin no niji
In kalter Nacht
vom Wein benebelt, sah ich
den goldnen Regenbogen!
15
原石鼎
Hara Sekitei (1886–1951)
Aus der Präfektur Shimane, führt nach einem abgebrochenen Medizinstudium in Kyôto ein
unstetes Leben in Tôkyô und in seiner Heimat. Zeitweilig als Aushilfe bei seinem Bruder, der
Arzt ist. Haiku-Dichter der Hototogisu-Gruppe, übernimmt die Haiku-Kolumne der Tageszeitung Nichinichi shimbun, anschließend 10 Jahre Herausgebertätigkeit bei der Zeitschrift Kabiya
(„Nächtliches Wachtfeuer“). Meister der Haiga-Malerei. Von 1938 an kränkelt er bis zu seinem
Tode.
己
が
庵
に
火
か
け
て
見
む
や
秋
の
風
16
凩
や
列
車
降
り
な
ば
妓
買
は
む
春
宵
や
人
の
屋
根
さ
へ
み
な
戀
し
淋
し
さ
に
ま
た
銅
鑼
打
つ
や
鹿
火
屋
守
秋
風
や
模
様
の
ち
が
ふ
皿
二
つ
akikaze ya
moyô no chigau
sara futatsu
Herbstwind!
Vor mir, verschieden gemustert,
zwei Eßschälchen
sabishisa ni
mata dora utsu ya
kabiyamori
Aus Einsamkeit
schlägt wieder den Gong
der Wächter am Nachtfeuer
shunshô ya
hito no yane sae
mina koishi
Frühlingsnacht!
Selbst die Hausdächer sind
ineinander verliebt …
kogarashi ya
ressha orinaba
gi kawamu
Eisiger Wind!
Steigen wir aus dem Zug,
gehen wir gleich ins Bordell!
waga io ni
hi kakete mimu ya
aki no kaze
Am liebsten würd’ ich
meine Hütte in Brand stecken,
bei diesem Herbstwind
17
橋本夢道
Hashimoto Mudô (1903–1974)
Ursprünglicher Name Hashimoto Jun'ichi. Aus der Präfektur Tokushima, geht nach dem
Volksschulabschluß nach Tôkyô und wird, beginnend mit einer Lehre im Großhandel, Geschäftsmann. Sein Lehrer wird Ogiwara Seisensui*. Mit Kuribayashi Issekiro* und anderen
Freunden Mitarbeiter an der Zeitschrift Haiku seikatsu („Haiku-Leben“). 1941 für zwei Jahre als
Mitglied der sog. „Proletarischen Haiku-Bewegung“ inhaftiert. Nach dem Krieg Mitglied im
„Neuen Bund der Haiku-Dichter“ (Shin haikujin remmei).
死
顏
に
も
の
云
え
ば
悲
し
死
顏
に
も
の
云
わ
ず
18
金
色
の
目
を
あ
け
て
龜
不
思
議
そ
う
に
沈
ん
で
ゆ
く
妻
の
留
守
に
押
入
れ
を
の
ぞ
き
驚
き
飢
餓
日
記
妻
の
愛
情
の
如
苔
寺
の
苔
や
わ
ら
か
に
ビ
ロ
〡
ド
に
う
ご
け
ば
寒
い
冬
の
家
を
出
て
妻
子
と
喜
劇
に
笑
つ
て
い
る
fuyu no ie wo
dete tsumako to kigeki ni
waratte iru
In den Winter hinaus –
mit Frau und Kind lachen
im Possenstück!
ugokeba
samui
Bewegt man sich,
spürt man die Kälte erst
tsuma no aijô no goto
kokedera no koke
yawaraka ni birôdo ni
Wie die Liebe meiner Frau
ist das Moos aus dem Moosgarten:
so weich, wie Samt …
tsuma no rusu ni
oshiire wo nozokiodoroki
kiga nikki
Meine Frau ist nicht zuhaus:
erschreckt entdecke ich im Wandschrank
ihr Hunger-Tagebuch!
kin'iro no me wo
akete kame fushigisô ni
shizunde yuku
Goldglänzende Augen
öffnet die Schildkröte und taucht
rätselhaft in die Tiefe
shigao ni
monoieba kanashi
shigao ni monoiwazu
Dem toten Gesicht
wollt’ ich etwas sagen – blieb stumm
vor dem traurigen Gesicht des Toten
19
橋本多佳子
Hashimoto Takako (1899–1963)
Die aus Tôkyô stammende Dichterin, Enkelin des Leiters einer Koto-Schule, besucht eine
Mädchenschule für Kunst und heiratet 1917 den Architekten Hashimoto Toyojirô, lebt in Kokura (heutiges Kita-Kyûshû) und bekommt vier Töchter. 1937, im Alter von 39 Jahren, verliert sie ihren Mann. Sie lernt Haiku-Dichten zunächst bei Sugita Hisajo*, nach ihrem Umzug
nach Ôsaka ab 1930 bei Takahama Kyoshi* und Yamaguchi Seishi*. Mit dem Ausscheiden des
letzteren aus dem Mitarbeiter-Kreis des Hototogisu („Bergkuckuck“) wechselt sie zu Ashibi („Besenstrauch“), nach dem Krieg zu Tenrô („Sirius“).
硯
洗
ふ
墨
あ
を
あ
を
と
流
れ
け
り
20
髪
白
く
笛
息
ふ
か
き
祭
び
と
颱
風
過
し
づ
か
に
寢
ね
て
死
に
ち
か
き
月
光
に
一
つ
の
椅
子
を
置
き
か
ふ
る
母
と
子
の
ト
ラ
ン
プ
狐
啼
く
夜
な
り
haha to ko no
torampu kitsune
naku yo nari
Mutter und Sohn
beim Kartenspiel – draußen in der Nacht
heulen Füchse
gekkô ni
hitotsu no isu wo
okikauru
Im Mondlicht
stelle ich den einen
Stuhl hin und her …
taifûka
shizuka ni inete
shi ni chikaki
Nach dem Taifun –
und ich schlief ganz friedlich,
dem Tode nah …
kami shiroku
fue iki fukaki
matsuribito
Mit weißem Haar
tief Atem holend
der Flötist im Volksfesttrubel
suzuri arau
sumi ao-ao to
nagarekeri
Den Tuschreibstein spül’ ich
die Tusche tiefblauschwarz
fließt dahin …
21
紙
漉
女
と
語
る
水
音
絶
間
な
し
22
月
一
輪
凍
湖
一
輪
光
あ
ふ
白
露
や
わ
が
在
り
し
椅
子
あ
た
ゝ
か
に
shiratsuyu ya
waga arishi isu
atataka ni
Ringsum alles weiß von Tau
nur der Stuhl, auf dem ich saß,
ist noch warm …
tsuki ichirin
tôko ichirin
hikariau
Der Mond eine Scheibe,
der See eine Scheibe Eis –
leuchten sich an
kamisukime to
kataru mizuoto
taema nashi
Beim Gespräch mit der
Papierschöpferin hört das
Wasserrauschen nicht auf
23
日野草城
Hino Sôjô (1901–1956)
In Tôkyô geboren, verbringt seine Jugend in Korea. Während seines Jura-Studiums an der
Universität Kyôto Vorsitzender der dortigen Haiku-Gruppe. Nach Studienabschluß Angestellter des Sumitomo-Versicherungskonzerns in Ôsaka, steigt 1945 auf zum Posten des Bezirksdirektors von Kôbe. Im selben Jahr wird sein Haus zerbombt, 1946 wird er lungenkrank und bis
zu seinem Tode nicht mehr gesund. Gehört anfangs zur Hototogisu-Gruppe, lehnt sich dann
gegen die strikte thematische Einschränkung des Haiku durch Takahama Kyoshi* auf und wird
von ihm zusammen mit anderen Dichtern 1936 aus der Hototogisu-Gruppe ausgeschlossen.
1935 gibt er die Zeitschrift Kikan („Flaggschiff“) heraus, 1949 dann Seigen („Blauer Himmel“).
酒
に
醉
ひ
長
き
童
貞
を
自
嘲
せ
り
24
も
の
言
は
ぬ
猫
と
留
守
居
の
刻
な
が
し
タ
イ
ピ
ス
ト
コ
ツ
プ
に
薔
薇
を
ひ
ら
か
し
む
ゆ
る
や
か
に
炎
暑
の
琴
の
音
の
粒
遽
か
の
暑
美
人
の
汗
に
眼
を
と
ど
む
niwaka no sho
bijin no ase ni
me wo todomu
Plötzliche Hitze –
auf die Schweißperlen einer Schönen
fällt mein Blick!
yuruyaka ni
ensho no koto no
oto no tsubu
Leise und sanft
in der Hitze die Laute der Koto
im Hof
taipisuto
koppu ni bara wo
hirakashimu
Die Schreibkraft
läßt im Wasserglas
eine Rose blühen
monoiwanu
neko to rusui no
toki nagashi
Das Haus hüten
mit der Katze, die kein Wort spricht,
wie lang doch die Zeit
sake ni yoi
nagaki dôtei wo
jichô seri
Im Sake-Rausch:
Wegen meiner langen keuschen Jugend
veracht’ ich mich
25
わ
が
手
枯
れ
妻
の
手
は
固
く
な
り
に
け
り
26
妻
子
を
擔
ふ
片
眼
片
肺
枯
手
足
枕
邊
の
春
の
灯
は
妻
が
消
し
ぬ
裸
婦
の
圖
を
見
て
を
り
い
の
ち
お
と
ろ
へ
し
rafu no zu wo
mite ori inochi
otoroeshi
Beschaue mir Bilder
nackter Frauen.
Es geht abwärts mit mir
aus: „10 Gedichte zur Hochzeitsnacht im Miyako-Hotel“
makurabe no
haru no tomoshi wa
me ga keshinu
Das Licht am Kopfende
in dieser Frühlingsnacht
von meiner Frau gelöscht
Halt durch, Sôjô!
tsumako wo ninau
katame katahai
kare teashi
Ich schleppe Frau und Kind –
einäugig, halbe Lunge,
Arme und Beine schlaff
waga te kare
me no te wa kataku
narinikeri
Meine Hand schon schwach –
so wird die meiner Frau
kräftig und fest
27
平畑靜塔
Hirahata Seitô (1905–1997)
Sohn eines Bankiers aus Wakayama, wird nach seinem Medizinstudium in Kyôto Nervenarzt.
Gehört zunächst zu den Dichtern der Hototogisu-Gruppe und gibt ab 1932 die Haiku-Zeitschrift
Kyôdai haiku heraus. Im Februar 1940 während der Verfolgung der Haiku-Avantgarde mit anderen Mitgliedern der Kyôdai haiku-Gruppe inhaftiert. Im Krieg schwer verwundet. Später
Mitarbeit an Yamaguchi Seishis* Tenrô („Sirius“), der einflussreichsten Gruppe nach dem Krieg.
春
月
に
妻
一
生
の
盥
置
く
28
足
袋
の
底
記
憶
の
獄
を
踏
む
ご
と
し
早
乙
女
の
遠
き
欠
伸
の
口
黑
し
海
苔
採
る
と
櫛
笄
を
外
す
な
る
赤
煮
え
の
海
人
が
初
湯
を
出
て
あ
る
く
aka'nie no
ama ga hatsuyu wo
dete aruku
Krebsrot entsteigt
die Taucherin dem ersten Bad
und spaziert davon …
nori toru to
kushi kôgai wo
hazusu naru
Ehe sie Tang sammelt,
legt sie ab, was sie trägt:
Kamm und Haarnadeln
saotome no
tôki akubi no
kuchi kuroshi
Dem Mädchen schau ich
beim Gähnen von fern in den Mund –
dunkle Höhle
tabi no soko
kioku no goku wo
fumu gotoshi
Weiße Tabi-Socken –
in Gedanken treten sie
in meine Zelle …
shungetsu ni
tsuma isshô no
tarai oku
Unter den Frühlingsmond
stelle ich den Holzbottich,
den meine Frau ein Leben lang benützte
29
星野麥人
Hoshino Bakujin (1877–1965)
Aus Tôkyô, zunächst vom Romancier und Haiku-Dichter Ozaki Kôyô* beeinflusst. Gründet
Haisô („Haiku-Dickicht“, 1901), später hauptverantwortlich für die Zeitschrift Kidachi („Holzschwert“).
朝
東
風
や
耳
朶
紅
う
人
の
ゆ
く
30
や
は
ら
か
き
茨
の
刺
や
春
の
雨
炭
の
音
か
ち
り
〳
〵
と
ひ
そ
か
な
り
夕
寂
や
落
鮎
頃
の
渡
し
舟
yûjaku ya
ochiayu koro no
watashibune
Ein stiller Abend!
Über laichende Forellen
gleitet das Fährboot
sumi no oto
kachiri-kachiri to
hisoka nari
Holzkohlenfeuer:
Wie es knistert und knackt –
so geheimnisvoll!
yawarakaki
ibara no toge ya
haru no ame
Wie weich
sind doch die Dornen der Rose
im Frühlingsregen …
asa kochi ya
mimitabu akô
hito no yuku
Ostwind am Morgen –
mit roten Ohrläppchen
eilen alle dahin
31
星野立子
Hoshino Tatsuko (1903–1984)
Dichterin aus Tôkyô, zweite Tochter des Takahama Kyoshi*, absolviert die Höhere Töchterschule, heiratet 1925 Hoshino Yoshito und beginnt, von ihrem Vater angeregt, zu dichten. Ihre
ersten Verse erscheinen in der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“). 1930 gründet sie eine
Haiku-Zeitschrift, die sich primär an Frauen richtet, Tamamo („Seetang“). 1953 macht sie eine
dreimonatige Haiku-Reise nach Nord- und Südamerika.
一
世
は
ふ
る
さ
と
讃
へ
秋
讃
へ
32
月
夜
よ
し
虫
よ
し
送
り
送
ら
れ
て
君
の
立
場
我
の
立
場
や
寒
燈
下
川
霧
や
犬
通
り
て
も
ゆ
る
ゝ
橋
た
ん
ぽ
ゝ
と
小
聲
で
言
ひ
て
み
て
一
人
雛
飾
り
つ
ゝ
ふ
と
命
惜
し
き
か
な
hina kazaritsutsu
futo inochi
oshiki kana
Beim Aufstellen der Festtagspuppen
denke ich unwillkürlich
über mein Leben nach – ungern!
tampopo to
kogoe de iite
mite hitori
Mit der Pusteblume
möcht’ ich leise reden –
ganz allein …
kawagiri ya
inu tôritemo
yururu hashi
Herbstnebel überm Fluß:
die Brücke schwankt schon,
wenn ein Hund hinüberläuft
kimi no tachiba
ware no tachiba ya
kantôka
Deine Meinung und
meine Meinung – so stehn wir
im kalten Laternenlicht …
tsukiyo yoshi
mushi yoshi okuri
okurarete
Mondnacht und Grillen – so schön
begleiten mich
vom Begleiten zurück
issei wa
furusato tatae
aki tatae
Ein Leben lang
lob’ ich mir die Heimat,
lob’ ich mir den Herbst
33
細見綾子
Hosomi Ayako (1907–1997)
Dichterin aus der Präfektur Hyôgo, schließt 1927 im Fach Literatur an der Universität Nihon
joshi daigaku ab und heiratet anschließend einen Mediziner, der 1928 stirbt. Ab 1930 Interesse
für Haiku-Dichtung, lernt zunächst bei Yamaguchi Seishi*; Mitarbeiterin verschiedener Zeitschriften, etwa Kaze („Wind“) und Tenrô („Sirius“). Eigene Haiku-Bände erscheinen ab 1942. Im
Jahr 1948 heiratet sie den Haiku-Dichter Sawaki Kin'ichi*.
亡
母
戀
ひ
し
電
柱
に
寄
せ
よ
ご
れ
し
雪
34
チ
ュ
〡
リ
ッ
プ
喜
び
だ
け
を
持
つ
て
ゐ
る
夏
み
か
ん
手
に
海
を
見
る
場
所
探
す
麥
刈
に
く
た
び
れ
て
ゐ
て
月
が
出
し
mugikari ni
kutabirete ite
tsuki ga deshi
Todmüde ging ich
heim von der Erntearbeit –
da ging der Mond auf!
natsu mikan
te ni umi wo miru
basho sagasu
Eine Mandarine in der Hand
such’ ich den besten Platz,
das Meer zu schauen
chûrippu
yorokobi dake wo
motte iru
Einzig die Freude
an den Tulpen –
sonst hab ich nichts!
haha koishi
denchû ni yose
yogoreshi yuki
Meine verstorbene Mutter vermissend,
fege ich den schmutzigen Schnee
an den Telegrafenmast …
35
細谷源二
Hosoya Genji (1906–1970)
Aus Tôkyô; in seiner Jugend Mitarbeiter am Organ Rôdô geijutsuka („Arbeiter-Künstler“) zusammen mit Naitô Tatsuo (1893–1966). Schließt sich zunächst der neuen Tanka-Bewegung an,
bis er ab 1933 für das Haiku größeres Interesse zeigt und an der Zeitschrift Ku to hyôron („Haiku
und Kritik“) und deren Neugestaltung Hiroba („Offener Platz“) mitarbeitet. 1941 für zwei Jahre
inhaftiert. Maßgeblich beteiligt an der kulturellen Erschließung von Hokkaidô. Als Kritiker,
Essayist und Dichter gleichermaßen bedeutend.
夜
の
森
や
一
寸
死
に
た
く
冬
不
運
36
家
ま
ず
し
お
ゝ
煌
々
と
夜
の
列
車
父
の
死
や
布
團
の
下
に
は
し
た
錢
百
姓
の
一
家
の
寢
顏
ガ
ラ
ス
戸
越
し
に
腐
る
梅
雨
火
夫
の
あ
く
び
の
舌
赤
し
ゆ
き
ち
ら
ち
ら
そ
ん
な
日
暮
の
あ
か
き
魚
yuki chira-chira
sonna higure no
akaki uo
Schneeflocken tanzen
rötlich glühen die Fische
in der Dämmerung
kusaru tsuyu
kafu no akubi no
shita akashi
Modrige Regenzeit!
Der Heizer gähnt, man sieht
die rote Zunge
hyakusho no
ikka no negao
garasudo goshi ni
Das ganze Bauernhaus
zeigt sein schlafendes Gesicht
hinter der Glastür
chichi no shi ya
futon no shita ni
hashita sen
Vater lebt nicht mehr.
Unter der Schlafmatte
sein restliches Geld
ie mazushi
ôkôkô to
yoru no ressha
An Elendshütten vorbei
rast glitzernd
der Nachtexpress
yo no mori ya
chotto shinitaku
fuyu fuun
Nächtlicher Wald –
tot sein wollen für kurze Zeit,
vor Winterüberdruß
37
飯田蛇笏
Iida Dakotsu (1885–1962)
Der „moderne Bashô“ genannt, stammt aus einem idyllischen Dorf der Präfektur Yamanashi in
Sichtweite des Fuji. Studiert westliche Literatur, insbesondere englische, an der Waseda-Universität, wo er mit seinen ersten schriftstellerischen Versuchen (Novellen und Gedichte in freien Rhythmen) beginnt. Dichtet seit dem 9. Lebensjahr auf Anregung Takahama Kyoshis* hin Haiku, sie erscheinen in Hototogisu („Bergkuckuck“) und der Kolumne Kokumin haidan („Haiku-Platform des
Volkes“). 1909 gibt er das Stadtleben auf und zieht sich als Sohn begüterter Eltern in die Heimat
zurück, wo er Redakteur eines lokalen Gedichtorgans wird. Seine Reisen führen ihn auch nach
China und Korea, das Ergebnis: Essays, Gedichte, Reiseberichte. Zwischen 1941 und 1946 verliert
er Eltern und drei Söhne, seine literarische Schaffenskraft bleibt ungebrochen, u.a. wird er Chefredakteur der Zeitschrift Ummo („Glimmer“), an der auch sein Sohn Iida Ryûta* mitarbeitet.
炭
賣
の
娘
の
あ
つ
き
手
に
觸
り
け
り
38
巫
女
の
劍
佩
き
た
る
雪
月
夜
わ
が
浴
む
た
く
ま
し
き
身
に
夏
の
空
埋
火
に
妻
や
花
月
の
情
に
ぶ
し
大
巖
に
ま
ど
ろ
み
さ
め
ぬ
秋
の
山
ôiwa ni
madoromi samenu
aki no yama
Auf einem großen Felsen
aus kurzem Schlaf erwacht:
die Berge in Herbstes Pracht
uzumibi ni
tsuma ya kagetsu no
jô nibushi
Am Kohlenfeuer
hockt meine Frau – ‚Mond und Blüten‘
lassen sie kalt …
waga yuamu
takumashiki mi ni
natsu no sora
Mein kräftiger
Körper im heißen Quellbad,
darüber Sommerhimmel!
kannagi no
tsurugi hakitaru
yukizukiyo
Tanzende Schreinjungfrauen
gürten sich mit Schwertern
in mondbeschienener Schneenacht!
sumiuri no
ko no atsuki te ni
sawarikeri
Holzkohlenhändlers
schöne Tochter – ihre
heiße Hand berührt’ ich!
39
飯田龍太
Iida Ryûta (1920–2007)
Aus Yamanashi, studiert Japanische Literatur und wird Bibliothekar in seiner Heimat. Nach
dem Krieg unterstützt er seinen Vater, Iida Dakotsu*, bei der Arbeit an der Zeitschrift Ummo
(„Glimmer“). Nach dem Tod seines Vaters führt er die Zeitschrift als Herausgeber bis zu ihrer
Einstellung 1992 weiter.
露
草
も
露
の
ち
か
ら
の
花
ひ
ら
く
40
雪
の
峯
し
づ
か
に
春
の
の
ぼ
り
ゆ
く
耳
そ
ば
だ
て
て
雪
原
を
遠
く
み
る
螢
火
や
箸
さ
ら
さ
ら
と
女
の
刻
秋
耕
音
な
し
た
だ
汗
の
背
と
鴉
の
黑
shûkô oto nashi
tada ase no se to
karasu no kuro
Lautloses Pflügen im Herbst.
Allein der schweißnasse Rücken
und das Schwarz der Krähen
hotarubi ya
hashi sara-sara to
onna no toki
Glühwürmchenlicht –
Eßstäbchen klappern,
Zeit der Frauen
mimi sobadatete
setsugen wo
tôku miru
Mit gespitzten Ohren
blicke ich weithin
über das Schneefeld …
yuki no mine
shizuka ni haru no
noboriyuku
Zu den schneeglänzenden
Gipfeln steigt der Frühling
leise hinauf …
tsuyugusa mo
tsuyu no chikara no
hana hiraku
Auch die Tauwiese
blüht – genährt von der
Kraft der Tautropfen
41
池内友次郎
Ikenouchi Tomojirô (1906–1991)
Zweiter Sohn des Takahama Kyoshi*, in Tôkyô geboren, in der Familie Ikenouchi – seiner
Großverwandtschaft – erzogen. Studiert 1927–1936 an der Musikhochschule von Paris. Später
Professor für Kompositionslehre an der Musikhochschule von Tôkyô.
石
像
の
裸
女
に
新
樹
の
夜
更
け
ぬ
る
42
東
京
驛
大
時
計
に
似
た
月
が
出
た
本
を
積
み
重
ね
星
飛
び
窓
を
閉
め
年
忘
れ
過
去
は
斷
片
な
る
と
き
美
失
ひ
し
音
綠
蔭
へ
逃
げ
お
ほ
す
星
は
夜
夜
對
話
し
木
木
は
落
葉
す
る
hoshi wa yoyo
taiwa shi kigi wa
ochiba suru
Mit den Sternen
nächtlich im Gespräch
während Bäume sich entblättern
ushinaishi
oto midorikage he
nigeôsu
Töne verlieren sich
verschwinden ins grüne
Schattendunkel
toshiwasure
kako wa dampen
naru toki bi
Jahresabschlußfeier –
die Vergangenheit: Fragmente,
Momente der Schönheit
hon wo tsumi
kasane hoshi tobi
mado wo shime
Bücher gestapelt
Sternschnuppen fallen
ich schließe das Fenster
Tôkyô eki
ôdokei ni nita
tsuki ga deta
So groß wie die Uhr
am Bahnhof von Tôkyô
ging der Mond auf
sekizô no
rajo ni shinju no
yo fukenuru
Über Skulpturen
nackter Frauen zwischen jungen
Bäumen bricht Nacht herein …
43
石橋秀野
Ishibashi Hideno (1909–1947)
Aus einer Bauernfamilie der Präfektur Nara stammend, bricht sie ihr Hochschulstudium ab, um
sich unter Anleitung von Yosano Akiko (1878–1942) und Takahama Kyoshi* der HaikuDichtung zu widmen. Vom Kreis um Yokomitsu Riichi (1898–1947) angeregt, wird sie Mitarbeiterin der Zeitschrift Tsuru („Kraniche“).
苔
さ
く
や
佛
う
す
る
ゝ
石
の
面
44
火
の
や
う
な
月
の
出
花
火
打
ち
終
る
風
冴
え
て
魚
の
腹
さ
く
女
の
手
遠
ざ
か
る
咳
に
師
走
の
夜
深
く
淺
草
の
鐘
鳴
り
春
の
蚊
一
匹
陵
は
早
稻
の
香
り
の
故
郷
か
な
Unterwegs in der alten Kaiserprovinz Yamato
misasagi wa
wase no kaori no
kokyo kana
Hügelgrab eines Tennô!
Nach Reisähren
duftendes Heimatland
Asakusa no
kane nari haru no
ka ippiki
Glocken dröhnen
von Asakusa her – hier
summt die Frühlingsmücke …
tôzakaru
seki ni shiwasu no
yoru fukaku
Ein Hüsteln entfernt sich
und tiefer wird dabei
die Dezembernacht
kaze saete
uo no hara saku
onna no te
Vom Wind ist
diese Mädchenhand noch eisiger,
schlitzt Fischbäuche auf
hi no yô na
tsuki no de hanabi
uchiowaru
Wie eine Feuerkugel:
der aufgehende Mond
nach dem Feuerwerk
koke saku ya
hotoke usururu
ishi no omo
Moos blüht
auf Buddhas steinernem Antlitz
verwischt seine Züge
45
石田波郷
Ishida Hakyô (1913–1969)
Aus Matsuyama, absolviert eine Mittelschule, die Berühmtheiten wie Masaoka Shiki* und Takahama Kyoshi* hervorbrachte, dementsprechend früh mit dem Dichten vertraut. Geht mit 19
Jahren nach Tôkyô, schließt sich der Gruppe um Mizuhara Shûôshi* an und publiziert in der
Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“). Seine erste Sammlung erscheint 1935, 1937 gründet er eine
eigene Zeitschrift, Tsuru („Kraniche“). Wird 1943 eingezogen, erkrankt auf dem NordchinaFeldzug an Tuberkulose, so daß er 1945 nach Hause geschickt wird und vier Jahre im Krankenhaus verbringt, wonach er nie wieder ganz gesundet.
力
な
く
降
る
雪
な
れ
ば
な
ぐ
さ
ま
ず
46
麻
藥
う
て
ば
十
三
夜
月
遁
走
す
栗
咲
く
香
血
を
喀
く
前
も
そ
の
後
も
路
地
狭
く
隣
家
の
蚊
帳
に
胸
裸
あ
り
自
動
車
の
深
夜
疾
走
し
散
る
さ
く
ら
明
治
節
乙
女
の
體
操
胸
隆
く
Meiji setsu
otome no taisô
mune takaku
Kaisers Gedenktag:
Schulmädchen turnen –
recken stolz die Brüste!
jidôsha no
shin'ya shissô shi
chiru sakura
Hinter dem Auto,
das durch die Nacht rast,
schweben Kirschblüten herab …
roji semaku
rinka no kaya ni
mune hada ari
Eng das Gässchen:
Im Moskitonetz da drüben
eine nackte Brust
kuri saku ka
chi wo haku mae mo
sono ato mo
Duft der Kastanienblüte –
vor meinem Blutsturz
und auch noch danach
mayaku uteba
jûsan'yazuki
tonsô su
Vom Opiat betäubt,
ist mir, als entfliehe
der fast runde Vollmond
chikara naku
furu yuki nareba
nagusamazu
Langweilig und kraftlos
fallen die Schneeflocken –
trösten mich nicht
47
石川桂郎
Ishikawa Keirô (1909–1975)
Aus Tôkyô, übt bis 1941 den Beruf des Friseurs aus. Erhält eine Ausbildung im Haiku-Dichten
bei Sugita Hisajo*, freundet sich mit anderen Dichtern an aus der Gruppe, die die Zeitschrift
Tsuru („Kraniche“) herausgibt. Später, 1948, wird er auch mit Mizuhara Shûôshi* bekannt.
Mitarbeit an der Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“).
夢
に
み
る
女
は
ひ
と
り
星
祭
48
ご
う
ご
う
と
風
呂
沸
く
降
誕
祭
前
夜
毛
蟲
這
ふ
ご
と
き
寡
な
き
錢
渡
す
晝
寢
子
や
生
れ
し
日
の
ご
と
髪
濡
れ
て
hiruneko ya
areshi hi no goto
kami nurete
Mittagsschlaf macht mein Kind,
sein Haar feucht wie damals
am Tag der Geburt!
kemushi hau
gotoki sukunaki
sen watasu
Wie eine Raupe
kriecht man zu ihr hin,
der billigen Stunden-Dame
gô-gô to
furo waku
kôtansai zen'ya
Es lärmt und tobt
das Badehaus
an Heiligabend!
yume ni miru
onna wa hitori
hoshimatsuri
Die Frau, von der
ich träumte, ganz allein
beim Jahresfest der Liebenden
49
石塚友二
Ishizuka Tomoji (1906–1986)
Schriftsteller und Dichter aus der Präfektur Niigata. Geht 19jährig nach Tôkyô und wird Buchhändler. Gehört anfangs zur Dichtergruppe um die Zeitschrift Kareno („Herbstfeld“), später
arbeitet er für Ashibi („Besenstrauch“). 1935 Gründung einer eigenen Buchhandlung, veröffentlicht zahlreiche literarische Werke, u.a. von Yokomitsu Riichi (1898–1947), Kawabata Yasunari (1899–1972), Nakamura Kusatao* und Ishida Hakyô*; mit letzterem gründet er 1937 die
Zeitschrift Tsuru („Kraniche“). Als Romanautor ebenso bekannt wie als Haiku-Dichter.
わ
が
戀
は
失
せ
ぬ
新
樹
の
夜
の
雨
50
酒
汲
ん
で
醉
は
ぬ
し
づ
け
さ
夏
祭
毛
布
買
ひ
一
夜
は
早
く
寢
ま
り
た
り
支
那
蕎
麥
の
手
招
く
灯
あ
り
霜
の
辻
春
の
夜
の
い
つ
ま
で
残
す
夫
婦
の
灯
haru no yo no
itsu made nokosu
fûfu no hi
Frühlingsnacht –
wie lange wohl bleibt es noch hell
bei jenem Ehepaar …?
shinasoba no
temaneku hi ari
shimo no tsuji
An der Kreuzung
winkt das Licht des Nudelverkäufers
im Morgenfrost …
môfu kai
hitoya wa hayaku
nemaritari
Eine Wolldecke kaufte ich,
ging ganz früh zu Bett
an diesem Abend
sake kunde
yowanu shizukesa
natsumatsuri
Beim Reiswein-Trinken
Stille in mir, kein Rausch
beim Sommernachtsfest
waga koi wa
usenu shinju no
yoru no ame
Meine Liebe läßt nicht nach:
nächtlicher Regen
auf den jungen Bäumen
51
伊丹三樹彦
Itami Mikihiko (1920– )
Pseudonym des Iwata Hideo aus Itami. Publiziert seine ersten Gedichte in Hasegawa Kanajos
(1887–1969) Suimei („Sonnenlicht auf dem Wasser“) und Hino Sôjôs* Kikan („Flaggschiff“).
Wird 1941 ständiger Mitarbeiter bei Hinos Zeitschrift. Nach dem Krieg gibt er mit Gleichgesinnten weitere Zeitschriften heraus, u.a. Akashiya („Scheinakazie“) sowie ab 1951 mit Hino
Sôjô zusammen Seigen („Blauer Himmel“). Als Chefredakteur der Zeitschrift Seigen tritt er für
das moderne Haiku, in moderner japanischer Sprache geschrieben, ein.
子
を
連
れ
て
覗
く
酒
場
の
聖
飾
樹
52
腹
減
り
て
敎
會
を
去
る
秋
の
暮
彈
か
れ
ざ
る
琴
に
婚
後
の
月
日
か
な
男
の
子
得
ば
﹁
夏
樹
﹂
と
呼
ば
ん
森
に
入
る
業
卒
へ
て
無
帽
な
り
春
の
大
道
に
す
で
に
秋
か
ぜ
や
尿
を
吹
き
曲
げ
て
雪
國
の
改
札
を
出
づ
列
尾
に
て
yukiguni no
kaisatsu wo izu
retsubi nite
Im Schneeland –
durch die Bahnhofssperre trete ich
als letzter hinaus
sude ni aki
kaze ya ibari wo
fukimagete
Ist das wohl schon
der Herbstwind, der meinen
Wasserstrahl verbiegt?
gyô oete
mubô nari haru no
daidô ni
Vorbei das Examen –
auf die Hauptstraße im Frühling,
ganz ohne Schulkappe!
onoko eba
„Natsuki“ to yoban
mori ni iru
„Wird es ein Junge,
nennen wir ihn Natsuki!“*
– gingen wir in den Wald
hikarezaru
koto ni kongo no
tsukihi kana
Auf dieser Koto lasten
– ungespielt seit der Hochzeit –
all die Tage …
hara herite
kyôkai wo saru
aki no kure
Hunger im Bauch
verlasse ich die Kirche,
hinaus in den Herbstabend …
ko wo tsurete
nozoku sakaba no
seishokuju
Mit meinem Kleinen
heimlich in die Schänke geschaut:
ein Weihnachtsbaum!
*
wörtl.: „Sommerbaum“
53
金子兜太
Kaneko Tôta (1919– )
Aus der Präfektur Saitama, studiert Volkswirtschaft an der Universität Tôkyô. Sein Beruf als
Bankangestellter führt ihn durch verschiedene Städte Japans. Unterbrechung während der
Kriegsjahre. Lernt bei seinem Vater Haiku-Dichten. Seine Gedichte erscheinen anfangs in Ashibi („Besenstrauch“), später in Dojô („Auf der Erde“) und Kanrai („Wintergewitter“). Gehört zu
den bedeutenden Haiku-Dichtern der Avantgarde, der die Form der 17 Silben verteidigt, das
Jahreszeitenwort (kigo) jedoch für verzichtbar hält. 1983–2000 Präsident der „Vereinigung des
Gegenwarts-Haiku“ (Gendai haiku kyôkai), seither Ehrenpräsident.
激
論
つ
く
し
街
ゆ
き
オ
〡
ト
バ
イ
と
化
す
54
あ
ま
た
の
街
角
街
娼
爭
い
蜜
柑
乾
く
崩
れ
煉
瓦
に
蝶
執
着
す
こ
ゝ
ス
ラ
ム
港
灣
こ
ゝ
に
腐
れ
ト
マ
ト
と
泳
ぐ
子
供
娼
窟
に
繩
と
び
の
繩
ち
ら
ち
ら
す
霧
の
車
窓
を
廣
島
走
せ
過
ぐ
女
聲
を
擧
げ
kiri no shasô wo
Hiroshima hasesugu
onna koe wo age
Am Zugfenster vorbei
jagt Hiroshima im Nebel.
Frauenstimmen werden laut
shôkutsu ni
nawatobi no nawa
chira-chira su
Vor den Dirnen
schwingt auf und ab
das Hüpfseil der Kinder
kôwan koko ni
kusare tomato to
oyogu kodomo
Hier im Hafenbecken
faule Tomaten,
schwimmen mit den Kindern
kuzure renga ni
chô shûjaku su
koko suramu
Zerbrochene Ziegel:
Ein Schmetterling klammert sich daran,
hier im Slum …
amata no machikado
gaishô arasoi
mikan kawaku
An vielen Straßenecken
zanken sich Straßenmädchen.
Es trocknen Mandarinen
gekiron tsukushi
machi yuki
ôtobai to kasu
Nach heißem Wortgefecht
geh’ ich durch die Straßen,
verwandle mich in ein Motorrad
55
加藤知世子
Katô Chiyoko (1909–1986)
Dichterin aus Niigata, eigentlicher Name Yano Chiyose, heiratet 1929 den Dichter Katô
Shûson*. Beginnt unter Anleitung der Dichter Murakami Kijô* und Mizuhara Shûôshi* mit dem
Haiku-Dichten, veröffentlicht in verschiedenen Zeitschriften und ist seit 1940 Mitarbeiterin
der neugegründeten Zeitschrift Kanrai („Wintergewitter“).
笹
鳴
い
て
書
體
い
つ
し
か
や
は
ら
ぎ
ぬ
56
ハ
イ
フ
エ
ツ
ツ
聽
き
つ
つ
毛
絲
は
胡
蝶
編
怒
る
こ
と
に
追
は
れ
て
夫
に
夏
瘦
な
し
春
曉
や
ノ
〡
ト
抱
い
て
夫
眠
る
春
雷
や
乳
兒
の
全
身
笑
ひ
に
て
shunrai ya
chigo no zenshin
warai nite
Frühlingsgewitter –
bei jedem Donnerschlag
lacht unser Kindchen auf!
haru akebono ya
nôto idaite
tsuma nemuru
„Im Frühling die Morgendämmerung“ –
mein Mann, die Notizen im Arm,
in tiefem Schlaf …
okoru koto ni
owarete tsuma ni
natsuyase nashi
Vor lauter Ärger
wird er nicht dünner,
im Sommer …
Haifettsu
kikitsutsu keito wa
kochô ami
Dem Geigenspiel von Heifetz*
lauschend, wird alles, was ich stricke,
zu Schmetterlingen …
sasa naite
shotai itsushika
yawaraginu
Es rauscht das Bambusgras,
macht meine Pinselzüge
unversehens weicher …
*
Jascha Heifetz (1901–1987), ein weltberühmter amerikanischer
Geigenspieler russisch-litauischer Herkunft.
57
加藤楸邨
Katô Shûson (1905–1993)
Sohn eines christlichen Eisenbahnbeamten aus Tôkyô, wird nach Abschluß der Schule zunächst
Lehrer, studiert aber als 30jähriger weiter und wird schließlich Professor für Japanische Literatur. Heiratet 1929 Yano Chiyose, später als Haiku-Dichterin unter dem Namen Katô Chiyoko*
bekannt. Er publiziert ab 1931 seine Haiku in der Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“) und wird
Schüler von Mizuhara Shûôshi*. Ab 1940 Herausgeber einer eigenen Zeitschrift, Kanrai („Wintergewitter“). Reist 1944 mit anderen Dichtern nach Nord-China und schreibt Kriegsgedichte,
für die er in Japan kritisiert wird. Veröffentlicht über zehn Haiku-Bände.
疲
れ
寢
の
妻
の
手
う
ご
く
冬
疊
58
妻
の
名
を
十
日
呼
ば
ね
ば
浴
衣
さ
む
し
夢
に
父
と
枯
木
を
見
し
が
枯
木
立
つ
火
の
奥
に
牡
丹
崩
る
る
さ
ま
を
見
つ
In der Nacht des 23. Mai [1945] gab es einen großen Luftangriff, unmittelbar nachdem ich meine Mutter nach Kanazawa in die Evakuation
geschickt hatte. Auch unser Haus verbrannte völlig; die ganze Nacht
hindurch irrte ich, meinen kranken Bruder auf dem Rücken, umher, auf
der Suche nach Michiko und Akio.
hi no oku ni
botan kuzururu
sama wo mitsu
Hinter der Flammenwand
sah ich, wie die Päonien
zugrundegingen
Am Todestag meines Vaters
yume ni chichi to
kareki wo mishi ga
kareki tatsu
Im Traum sah ich meinen Vater
an einem dürren Baum –
hier ist der Baum!
tsuma no na wo
tôka yobaneba
yukata samushi
Nenn’ meine Frau
schon zehn Tage nicht beim Namen –
kalter Schlafkimono!
tsukarene no
tsuma no te ugoku
fuyu tatami
Erschöpft schläft
meine Frau – ihre Hand bewegt sich
auf den kalten Winter-Tatami …
59
落
葉
地
に
と
ど
く
や
時
間
ゆ
る
み
け
り
60
雪
の
中
鴉
の
む
く
ろ
目
を
あ
け
ゐ
る
猫
と
生
れ
人
間
と
生
れ
露
に
歩
す
蟻
殺
す
わ
れ
を
三
人
の
子
に
見
ら
れ
税
吏
汗
し
敎
師
金
な
し
笑
ひ
あ
ふ
zeiri ase shi
kyôshi kane nashi
waraiau
Der Steuerbeamte schwitzt,
ich Lehrer hab’ kein Geld –
wir beide lachen …
ari korosu
ware wo sannin no
ko ni mirarenu
Die Ameisen hab’ ich getötet –
meine drei Kinder
schauten mir zu …
neko to are
ningen to are
tsuyu ni hosu
Ob nun als Katze geboren
oder als Mensch –
wir stapfen durch den Tau
yuki no naka
karasu no mukuro
me wo ake'iru
Im Schnee liegt
der Kadaver einer Krähe
mit offenen Augen …
ochiba chi ni
todoku ya jikan
yurumikeri
Flatterndes Herbstblatt
näherst dich der Erde
verlangsamst die Zeit …
61
桂信子
Katsura Nobuko (1914–2004)
Geboren in Ôsaka als Niwa Nobuko, Angestellte in einem Transportgeschäft. Wird Schülerin
des Herausgebers der Zeitschrift Kikan („Flaggschiff“), Hino Sôjô*. Trägt mit der Heirat den
Familiennamen Katsura, ihr Mann stirbt jedoch nach nur zweijähriger Ehe. Ab 1938 Mitarbeiterin an mehreren Zeitschriften. Ihr Gedichtstil ist von Yamaguchi Seishi* beeinflusst. 1945
ausgebombt, gelingt es ihr, ihre Manuskripte zu retten. 1949 Mitarbeit an Seigen („Blauer
Himmel“) sowie an weiteren Haiku-Zeitschriften.
秋
の
暮
女
ば
か
り
の
衣
を
干
せ
り
62
身
近
か
な
る
男
の
匂
ひ
雨
季
き
た
る
ふ
と
こ
ろ
に
乳
房
あ
る
憂
さ
梅
雨
な
が
き
や
は
ら
か
き
身
を
月
光
の
中
に
容
れ
夫
戀
へ
ば
落
葉
音
な
く
わ
が
前
に
tsuma koeba
ochiba oto naku
waga mae ni
Als wir uns liebten,
fiel ein Blatt vom Baum,
lautlos und ganz nah …
yawarakaki
mi wo gekkô no
naka ni ire
Ich tauche meinen
zarten Körper
ganz ins Licht des Mondes …
futokoro ni
chibusa aru usa
tsuyu nagaki
Dieser Schmerz, unter dem Kleid
meine Brüste zu spüren –
Regenzeit, so lang!
mijika naru
otoko no nioi
uki kitaru
Wie der Duft
eines Mannes an meiner Seite –
die Regenzeit hat begonnen
aki no kure
onna bakari no
i wo hoseri
Herbstabend.
Zum Trocknen häng’ ich jetzt
nur Frauenwäsche auf …
63
湯
ほ
て
り
の
ひ
と
と
ゆ
き
あ
ふ
寒
の
雨
64
墨
を
磨
る
心
し
づ
か
に
冬
に
入
る
庭
石
に
梅
雨
明
け
の
雷
ひ
び
き
け
り
niwa'ishi ni
tsuyuake no rai
hibikikeri
Über den Steinen des Gartens
Gewittergrollen
zum Ende der Regenzeit
sumi wo suru
kokoro shizuka ni
fuyu ni hairu
Ich reibe Tusche …
Mein Herz geht gelassen
in die Winterzeit
yu hoteri no
hito to yukiau
kan no ame
Ich traf einen Mann,
den Kopf noch rot vom heißen Bad –
kalter Winterregen!
65
川端茅舍
Kawabata Bôsha (1897–1941)
Ursprünglicher Name Kawabata Nobukazu, geboren in Tôkyô, durch den Vater (Kalligraph,
Maler und Dichter) beeinflußt, zeigt er schon früh künstlerische Interessen. Bereits als Schüler
des Ölbild-Malers Kishida Ryûsei (1891–1929) schickt er seine Haiku an die Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“). Als sein Vater ein Geisha-Haus eröffnet, verläßt er sein Zuhause und
beschäftigt sich mit dem Buddhismus. 1923 verliert die Familie im großen Erdbeben all ihre
Habe und er tritt in Kyôto in ein Zen-Kloster ein, muß aber sein Mönchsleben wegen Lungentuberkulose aufgeben. Die letzten zehn Jahre seines Lebens bettlägerig, bleibt ihm nur noch das
Dichten.
螢
火
に
逢
魔
が
時
は
過
去
り
ぬ
66
よ
よ
よ
よ
と
月
の
光
は
机
下
に
來
ぬ
白
露
に
薄
薔
薇
色
の
土
龍
の
掌
芭
蕉
葉
や
破
船
の
ご
と
く
草
の
中
bashôba ya
hasen no gotoku
kusa no naka
Ein Bananenblatt –
wie das Wrack eines Schiffes
liegt es im Gras
shiratsuyu ni
usu bara'iro no
mogura no te
Hellrosafarben
im weiß-glitzernden Tau –
eine Maulwurfspfote
yoyo-yoyo to
tsuki no hikari wa
kika ni kinu
Nacht um Nacht
fällt der Schein des Mondes
unter meinen Tisch
hotarubi ni
ômagatoki wa
sugisarinu
Beim Licht der Glühwürmchen
das Abendzwielicht
ist vergangen …
67
河東碧梧桐
Kawahigashi Hekigotô (1873–1937)
Sohn eines konfuzianischen Gelehrten aus Matsuyama, entsprechend mit den Klassikern aufgewachsen. Mit seinem Klassenkameraden Takahama Kyoshi* verbindet ihn eine enge Freundschaft. 1894 gehen sie zusammen nach Tôkyô, wo er Reporter wird. Gehört zum engsten
Kreis des großen Haiku-Reformers Masaoka Shiki*, gilt nach dessen Tod als bedeutendster
zeitgenössischer Haiku-Dichter Japans. Nach 1912, mit dem Beginn von Kyoshis rigider Verfechtung traditioneller Haiku-Regeln, entsteht ein tiefgreifendes Zerwürfnis. Im Alter, in dem
er sich nur noch dem klassischen Haiku Yosano Busons (1716–1783) widmet, lebt er zurückgezogen.
蔭
に
女
性
あ
り
延
び
の
び
の
こ
と
枯
柳
68
春
淺
き
水
を
渉
る
や
鷺
一
つ
地
震
知
ら
ぬ
春
の
夕
の
假
寢
か
な
jishin shiranu
haru no yûbe no
karine kana
Vom Erdbeben spürt’ ich,
leicht eingeschlummert, nichts –
Frühlingsabend!
haru asaki
mizu wo wataru ya
sagi hitotsu
Durch das seichte Wasser
des Frühlings watet
ein Reiher
kage ni josei ari
nobi-nobi no koto
kare yanagi
Wegen jenes Mädchens
komme ich zu nichts –
Weiden im Winter
69
岸風三樓
Kishi Fûsanrô (1910–1982)
Eigentlicher Name Sudô Fumio, aus der Präfektur Okayama, studiert zunächst Rechte an der
Kansai-Universität und wird dann Beamter des Verkehrsministeriums. Ab 1930 lernt er systematisch Haiku-Dichten bei Yamaguchi Seishi*. 1934 wird er Mitglied des Gedichtzirkels um die
Zeitschrift Kyôdai haiku und 1940 mit vielen anderen Dichtern inhaftiert. Von Dichterkollegen
wie Tomiyasu Fûsei* gefördert und ermutigt, veröffentlicht er u.a. in der Zeitschrift Wakaba
(„Frisches Laub“).
夕
燒
寒
む
廢
墟
灯
る
と
び
と
び
に
70
霧
さ
む
く
娼
婦
肩
掛
を
長
く
せ
り
月
夜
々
に
美
し
く
春
を
待
ち
に
け
り
蝌
蚪
お
よ
ぐ
い
づ
れ
も
智
慧
の
あ
る
ご
と
く
門
に
待
つ
母
立
葵
よ
り
小
さ
し
mon ni matsu
haha tachi aoi
yori chiisashi
Am Eingangstor wartet
meine Mutter: kleiner noch
als die Stockrosen
kato oyogu
izure mo chie no
aru gotoku
Kaulquappen schwimmen
umher, als hätte jede
eigenen Verstand
tsuki yo-yo ni
kuwashiku haru wo
machinikeri
Wie der Mond
allabendlich die Pracht
des Frühlings erwartet!
kiri samuku
shôfu katakake wo
nagaku seri
Kühler Herbstnebel –
lang hängt dem Straßenmädchen
der Umhang von der Schulter
yûyake samu
haikyo hitomoru
tobi-tobi ni
Kaltes Abendrot.
In den Ruinen Lichter,
hier und dort …
71
香西照雄
Kôzai Teruo (1917–1987)
Aus einem Bauerndorf der Präfektur Kagawa, schließt seine Literaturstudien an der Universität
Tôkyô ab und wird Lehrer, unterbrochen von vier Jahren Kriegsdienst. Seine Haiku-Lehrer
sind Takeshita Shizunojo* und Nakamura Kusatao*. Veröffentlicht seine Gedichte in den Zeitschriften Hototogisu („Bergkuckuck“) und Natsukusa („Sommergras“).
花
曇
鐵
の
灰
皿
固
き
椅
子
72
吾
子
尿
る
庭
の
落
花
の
浮
ぶ
ま
で
寢
れ
ば
廣
き
わ
が
胸
を
打
つ
野
の
薰
風
朝
日
淡
し
厨
の
土
間
に
薔
薇
散
り
て
妻
去
つ
て
春
雨
の
音
や
や
荒
し
tsuma satte
harusame no oto
yaya arashi
Meine Frau ist fort –
das Rauschen des Frühlingsregens
wird heftiger …
asahi awashi
kuriya no doma ni
bara chirite
Morgensonne schwach –
auf dem Küchenboden
verstreute Rosenblätter
nereba hiroki
waga mune wo utsu
no no kumpû
Im Schlaf spür’ ich
den warmen Südwind von den Feldern
an meiner Brust
ako ibaru
niwa no rakka no
ukabu made
Mein Sohn im Garten
pinkelt auf abgefall’ne Blüten,
bis sie dahinschwimmen
hanagumori
tetsu no haizara
kataki isu
Blütenduft –
um den eisernen Aschenbecher
und den harten Stuhl …
73
久保田万太郎
Kubota Mantarô (1889–1963)
Aus Tôkyô, wird durch Matsune Tôyôjô* zum Dichten angeregt. Entdeckt früh seine Leidenschaft für das Theater, gewinnt große Bedeutung in Theaterkreisen und beim Aufbau des Radiodramas. Nach dem Studium des Faches Literatur wendet er sich mehr der Prosa zu, widmet
sich dann wieder ab 1920 dem Haiku, zwar als Hobby, dennoch mit umfangreichen Werken.
Ab 1946 Herausgeber der Zeitschrift Shuntô („Licht in der Frühlingsnacht“).
一
句
二
句
三
句
四
句
五
句
枯
野
の
句
74
提
灯
の
逢
う
て
わ
か
れ
し
お
ぼ
ろ
か
な
も
ち
古
り
し
夫
婦
の
箸
や
冷
奴
灰
ふ
か
く
立
て
し
火
箸
の
夜
長
か
な
ゆ
き
ぞ
ら
の
下
に
て
瑠
璃
の
い
ら
か
華
奢
初
鶏
や
上
海
ね
む
る
闇
の
底
hatsutori ya
Shanhai nemuru
yami no soko
Der erste Vogelruf:
Shanghai schläft noch
in tiefer Dunkelheit
yukizora no
shita ni ruri no
iraka kasha
Unter dem Schneehimmel
blauglänzend
prachtvolle Dachziegel
hai fukaku
tateshi hibashi no
yonaga kana
Tief in der Asche
stecken die Schüreisen schon –
wie lang ist die Nacht!
mochifurishi
fufu no hashi ya
hiya yakko
Abgenutzt sind
die Essstäbchen des Paares –
kalte Tofu-Speise …
teitô no
aute wakareshi
oboro kana
Zwei Handleuchten
treffen und trennen sich
im schwachen Dämmerlicht
ikku niku
sanku yonku goku
kareno no ku
Ein Vers und noch einer,
drei, vier und fünf Verse –
über das öde Land …
75
栗林一石路
Kuribayashi Issekiro (1894–1961)
Aus der Präfektur Nagano, geht 19jährig nach Tôkyô, wo er Journalist bei der fortschrittlichen
Zeitschrift Kaizô („Umbau“) wird. Tritt mit Ogiwara Seisensui* zusammen für neue, freie Formen des Haiku ein; schließt sich dann der proletarischen Haiku-Bewegung an und kommt während der Unterdrückungskampagne des „Neuen Haiku“ 1941 für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Nach dem Krieg tritt er dem „Neuen Bund der Haiku-Dichter“ (Shin haikujin remmei) bei,
deren erster Generalsekretär er wird. Neben seinen Gedichtbänden schreibt er gesellschaftskritische Werke. Stirbt 1961 an Tuberkulose.
妻
の
遺
骨
を
網
棚
に
置
き
ね
む
た
く
な
る
76
い
ま
は
妻
な
し
ひ
え
び
え
と
靑
き
竹
を
伐
る
兵
營
跡
と
こ
の
子
は
知
ら
ず
夏
草
に
メ
〡
デ
〡
の
腕
く
め
ば
雨
に
あ
た
た
か
し
お
月
さ
ん
へ
美
し
い
お
し
つ
こ
が
出
る
出
る
o-tsuki-san he
utsukushii oshikko ga
deru-deru
Zum guten Onkel Mond
steigt es empor, steigt empor –
Kinderpinkeln …
mêdê no
ude kumeba ame ni
atatakashi
Aufmarsch zum 1. Mai:
Die Arme untergehakt,
wurde uns im Regen warm …
heieiato to
kono ko wa shirazu
natsukusa ni
Von der Kaserne,
die hier einst war, wissen die Kinder nichts,
im Sommergras
ima wa tsuma nashi
hie-bie to aoki
take wo kiru
Jetzt, da meine Frau nicht mehr lebt,
schneide ich fröstelnd
den jungen Bambus
tsuma no ikotsu wo
amidana ni oki
nemutaku naru
Die Asche meiner Frau
leg’ ich ins Gepäcknetz –
möcht’ nur noch schlafen
77
京極杞陽
Kyôgoku Kiyô (1908–1981)
Aus Tôkyô, wo er ein Literaturstudium absolviert. Zeremonienmeister des Kaiserlichen Hofhaushalts. Schüler von Takahama Kyoshi*, Anhänger des traditionellen Haiku und langjähriger
Mitarbeiter am Hototogisu („Bergkuckuck“).
一
枚
の
暗
き
簾
も
茶
の
心
78
先
生
の
今
の
愛
孫
手
に
蜜
柑
妻
い
つ
も
わ
れ
に
幼
し
吹
雪
く
夜
も
骨
壺
に
追
ひ
す
が
る
も
の
白
き
蝶
春
を
待
ち
我
を
待
つ
と
の
妻
の
文
haru wo machi
ware wo matsu to no
tsuma no fumi
Den Frühling erwarte sie
und auch mich – heißt es
im Brief meiner Frau …
kotsutsubo ni
oisugaru mono
shiroki chô
Der Urne mit der Asche
folgt er flatternd:
ein weißer Schmetterling
tsuma itsumo
ware ni osanashi
fubuku yo mo
Mir gegenüber gibt sie sich
unbeholfen, meine Frau –
noch in der Schneesturmnacht
sensei no
ima no aison
te ni mikan
Der jetzige Lieblingsenkel
des Meisters: in der Hand
eine Mandarine
ichimai no
kuraki sudare mo
cha no kokoro
Auch dieser eine
dunkle Bambusvorhang
atmet den Geist des Tees
79
前田普羅
Maeda Fura (1884–1954)
Aus Tôkyô. Bricht sein Englischstudium an der Waseda-Universität ab, lernt bei Takahama
Kyoshi* und veröffentlicht erstmals 1912 Haiku, die in Hototogisu („Bergkuckuck“) erscheinen.
Reist als Journalist häufig im Land umher. Nach seinem Rückzug von Hototogisu widmet er sich
mit aller Kraft dem Aufbau der Zeitschrift Kobushi („Kobusmagnolie“), bis er – durch einen
Schlaganfall arbeitsunfähig – nach langem Leiden stirbt.
暖
き
秋
野
の
石
に
掌
を
お
き
ぬ
80
秋
山
や
人
が
放
て
る
笑
ひ
聲
足
重
き
蒲
團
に
こ
ぼ
す
梅
花
か
な
旅
人
は
休
ま
ず
あ
り
く
落
葉
の
香
犬
行
く
や
吹
雪
の
中
に
尾
を
立
て
ゝ
人
來
れ
ば
お
ど
ろ
き
お
つ
る
桐
の
花
hito kureba
odoroki otsuru
kiri no hana
Kommt jemand nahe,
fällt sie erschreckt zu Boden –
die Paulownia-Blüte
inu yuku ya
fubuki no naka ni
o wo tatete
Ein Hund läuft vorbei
im wilden Schneegestöber,
hoch aufgerichtet sein Schwanz …
tabibito wa
yasumazu ariku
ochiba no ka
Ein Wanderer geht
– ohne auszuruhen –
durch den Duft des Herbstlaubs …
Krank
ashi omoki
futon ni kobosu
baika kana
Auf das Bettzeug,
das schwer über den Füßen liegt,
fallen Pflaumenblüten …
akiyama ya
hito ga hanateru
waraigoe
Durch die Herbstlandschaft
in den Bergen schallt es –
ungehemmtes Lachen!
atatakaki
akino no ishi ni
te wo okinu
Auf den Stein im Feld,
von der Herbstsonne noch warm,
lege ich meine Hand …
81
正岡子規
Masaoka Shiki (1867–1902)
Ursprünglicher Name Masaoka Tsunenori, zahlreiche Pseudonyme. Eine der literarischen Größen Japans, Dichter, Poetologe, Essayist und Literaturkritiker, ohne dessen Erneuerungsbemühungen die moderne Lyrik undenkbar wäre. Aus der Stadt Matsuyama auf der Insel Shikoku,
verliert mit vier Jahren seinen Vater. Nach einer umfassenden literarischen Bildung geht er an die
Universität Tôkyô, bricht jedoch sein Studium ab und wird Reporter bei der Zeitung Nippon.
1889 Ausbruch von Lungentuberkulose, geht dennoch als Kriegsreporter nach China, bricht
zusammen und verbringt die letzten sieben Jahre seines Lebens fast nur im Krankenhaus, wo er
Gedichte, kritische Essays und poetische Tagebücher schreibt, mit denen er den entscheidenden
Anstoß zu einer Haiku-, aber auch zu einer Tanka-Reform gibt. Stirbt im Alter von nur 34 Jahren. Seinen Dichternamen Shiki legt er sich mit dem Auftreten seines Bluthustens zu, auf das Bild
dieser Kuckucksart anspielend, der singt, bis sich seine rote Zunge zeigt. Eine andere Aussprache
desselben Vogels ist Hototogisu („Bergkuckuck“), der Name der großen literarischen Zeitschrift.
春
の
夜
を
尺
八
吹
い
て
通
り
け
り
82
提
灯
で
大
仏
見
る
や
時
鳥
男
許
り
中
に
女
の
あ
つ
さ
か
な
涼
し
さ
や
石
燈
籠
の
穴
も
海
乞
食
の
錢
よ
む
音
の
夜
寒
哉
kotsujiki no
sen yomu oto no
yosamu kana
Ein Bettler zählt
seine Münzen – wie kalt
klingt es bei diesem Nachtfrost!
suzushisa ya
ishidôrô no
ana mo umi
Sommerliches Kühl –
auch durch das Auge der Steinlaterne
blickt das Meer
otoko bakari
naka ni onna no
atsusa kana
Lauter Männer, eine Frau –
die Temperatur
steigt unangenehm …
chôchin de
Daibutsu miru ya
hototogisu
Mit der Laterne
betrachte ich den Großen Buddha.
Ein Kuckuck ruft
haru no yo wo
shakuhachi fuite
tôrikeri
Geht, die Bambusflöte blasend,
jemand vorbei,
durch die Frühlingsnacht
83
二
文
投
げ
て
寺
の
椽
借
る
涼
み
哉
84
首
あ
げ
て
折
々
見
る
や
庭
の
萩
雲
の
峰
硯
に
蟻
の
上
り
け
り
と
も
網
に
蜑
の
子
な
ら
ぶ
遊
泳
哉
涼
し
さ
の
は
て
よ
り
出
た
り
海
の
月
大
名
の
通
つ
て
あ
と
の
寒
さ
哉
daimyô no
tôtte ato no
samusa kana
Ein Lehensfürst
zog vorüber – welch eine Kälte
bleibt zurück …
suzushisa no
hate yori detari
umi no tsuki
Der frischen Kühle
äußerstem Rand entstieg
der Mond über dem Meer …
tomotsuna ni
kani no ko narabu
yûei kana
An einem Schiffstau
reihen sich Krabbenkinder:
nun heißt es schwimmen
kumo no mine
suzuri ni ari no
noborikeri
Wolkengebirge –
auf meinen Tuschestein klettert
die Ameise …
kubi agete
ori-ori miru ya
niwa no hagi
Recke mein Haupt,
um immer wieder hinzuschauen:
Buschklee im Garten
nimon nagete
tera no en karu
suzumi kana
Mit ein paar Opfergroschen
leih’ ich mir die Kühle
unterm Tempeldach
85
松本たかし
Matsumoto Takashi (1906–1956)
Entstammt einer Familie von Nô-Schauspielern aus Tôkyô. Vom 16. Lebensjahr an immer
wieder krank, muss er auf eine Bühnenkarriere verzichten. Lernt 1923 Takahama Kyoshi* kennen, der bestimmend auf seine Dichterkarriere einwirkt. Wird 1929 Mitarbeiter an Hototogisu
(„Bergkuckuck“). Seit 1946 Herausgeber der Zeitschrift Fue („Flöte“).
湯
女
ど
ち
と
深
雪
月
夜
を
一
つ
温
泉
に
86
温
泉
を
出
で
し
女
體
か
く
さ
ず
雪
嶺
に
湯
女
ど
ち
の
肌
の
湯
艶
よ
深
雪
晴
女
夫
仲
い
つ
し
か
淡
し
古
茶
い
る
る
朧
夜
の
山
に
山
火
の
首
飾
り
oboroyo no
yama ni sanka no
kubikazari
Dunstige Nacht –
die Feuer auf den Bergen ringsum
wie eine Halskette …
meotonaka
itsushika awashi
kocha iruru
Eheleute – abgestumpfte Gefühle,
ohne es recht zu merken,
trinken schalen Tee
aus: „24 Gedichte während eines Aufenthaltes im Badeort Yuzawa“
yunadochi no
hada no yuzuya yo
miyuki yado
Die feuchtglänzende Haut
des Badehausmädchens –
Gasthof im tiefen Schnee …
yunadochi to
miyuki tsukiyo wo
hitotsu yu ni
Mit dem Badehausmädchen
beim Vollmond einer Schneenacht
im gleichen Bad!
yu wo ideshi
nyotai kakusazu
setsurei ni
Frisch aus dem Bad
verbirgt sie nicht ihren Körper,
vor den Schneegipfeln …
87
松根東洋城
Matsune Tôyôjô (1878–1964 )
Ursprünglich Matsune Toyojirô, aus Tôkyô, studiert dort und in Kyôto Jura. Wird Zeremonialbeamter des kaiserlichen Hofamtes. Haiku-Unterricht durch Natsume Sôseki*. Zunächst beim
Hototogisu („Bergkuckuck“), gehört ab 1920 zum Mitarbeiterkreis der Zeitschrift Shibugaki
(„Bittere Kaki“). Bleibt unverheiratet und lebt in Einfachheit.
道
白
や
月
を
背
に
坂
な
ぞ
へ
88
秋
の
灯
の
ど
れ
や
チ
エ
ホ
フ
の
假
の
宿
ア
カ
シ
ヤ
の
花
や
大
陸
第
一
歩
人
戀
へ
ば
い
よ
〳
〵
獨
蚊
帳
か
な
晝
寢
よ
そ
ふ
や
聽
き
耳
は
立
て
好
色
話
秋
晴
や
嶺
々
中
の
子
持
の
子
akibare ya
reireichû no
komochi no ko
Strahlender Herbsttag!
Dort in den Bergen ein Kind,
ein Kind auf dem Rücken …
hirune yosou ya
kikimimi wa tate
sukibanashi
Als hielte ich Mittagsschlaf –
die Ohren gespitzt:
Liebesgeflüster!
hito koeba
iyo-iyo hitori
kachô kana
Verliebt bin ich –
und fühl’ mich immer einsamer
in meinem Mückennetz!
In der Mandschurei
akashiya no
hana ya tairiku
dai'ippo
Akazienblüten!
Hier auf Chinas Festland
bei meinem ersten Schritt
Auf Sachalin
aki no hi no
dore ya Chehofu no
kari no yado
Licht aus Fenstern
in der Herbstnacht – welches war
Tschechows flüchtige Bleibe?
michishiro ya
tsuki wo sobira ni
saka nazoe
Ein weißer Pfad –
den Mond im Rücken
geht es steil abwärts
89
松瀨西靑々
Matsuse Seisei (1869–1937)
Ursprünglich Matsuse Yasaburô, aus Ôsaka stammender Dichter und Schriftsteller, arbeitet
zunächst in einer Bank, wendet sich dann mit 28 Jahren der klassischen chinesischen Literatur
und der höfischen Dichtung (waka) zu. Wird mit Masaoka Shiki* bekannt. Bald darauf gibt er
seine Arbeit als Bankangestellter auf, geht nach Tôkyô und fungiert eine Zeitlang als Mitherausgeber des Hototogisu („Bergkuckuck“). Kehrt später wieder in den Raum Ôsaka zurück,
arbeitet an vielen anderen Zeitschriften mit.
凧
ひ
ら
〳
〵
港
遊
女
が
母
お
も
ふ
90
夕
立
は
貧
し
き
町
を
洗
ひ
去
る
木
が
ら
し
に
戀
の
黑
猫
眼
ぎ
ら
〳
〵
梅
の
花
に
ぬ
れ
て
來
た
り
し
男
猫
か
な
桃
の
花
を
滿
面
に
見
る
女
か
な
momo no hana wo
mammen ni miru
onna kana
Die Pfirsichblüten
besieht sich strahlend
eine junge Frau …
ume no hana ni
nurete kitarishi
o-neko kana
Von den Pflaumenblüten
durchnässt, kommt anspaziert
unser Kater!
kogarashi ni
koi no kuroneko
me gira-gira
Im kalten Spätherbstwind
ein verliebter schwarzer Kater:
seine Augen funkeln
yûdachi wa
mazushiki machi wo
araisaru
Sommerplatzregen:
wäscht das ärmliche Viertel rein –
zieht dann weiter …
tako hira-hira
minato yûjo ga
haha omou
Flatternde Kinderdrachen!
Eine Hafendirne
denkt an die Mutter …
91
三橋鷹女
Mitsuhashi Takajo (1899–1972)
Ursprünglich Mitsuhashi Taka, aus der Präfektur Chiba. Eine der bedeutenden modernen Haiku-Dichterinnen Japans. Begeistert sich schon von früher Jugend an für Dichter wie Yosano
Akiko (1878–1942) und Wakayama Bokusui (1885–1928). 1922, nach der Heirat mit Higashi
Kenzô, werden beide Schüler von Hara Sekitei* und publizieren in seiner Zeitschrift Kabiya
(„Nächtliches Wachtfeuer“). Sie wechselt 1934 zur Zeitschrift Keitôjin („HahnenkammFeldzug“) des Herausgebers Ono Bushi (1888–1943) und ändert ihren Namen in Higashi Takajo. Veröffentlicht weiter in verschiedenen Haiku-Zeitschriften, zuletzt in Bara („Rose“).
死
に
が
た
し
生
き
耐
へ
が
た
し
晩
夏
光
92
春
の
夢
み
て
ゐ
て
瞼
ぬ
れ
に
け
り
か
な
し
び
の
滿
ち
て
風
船
舞
ひ
あ
が
る
猫
柳
女
の
一
生
野
火
の
ご
と
女
の
香
の
わ
が
香
を
き
い
て
ゐ
る
涅
槃
onna no ka no
waga ka wo kiite
iru nehan
Meinen Duft,
meinen Frauenduft spürt
der schlafende Buddha
nekoyanagi
onna no isshô
nobi no goto
Katzenweiden –
das ganze Leben einer Frau:
ein Feuer auf dem Feld
kanashibi no
michite fûsen
maiagaru
Trauerbeladen
steigt der Luftballon empor,
tänzelnd
haru no yume
mite ite mabuta
nurenikeri
Frühlingsträume vor Augen –
meine geschlossenen Lider
voller Tränen …
shinigatashi
ikitaegatashi
bankakô
Schwer ist es zu sterben
und schwer zu leben,
bei diesem Spätsommerlicht …
93
水原秋櫻子
Mizuhara Shûôshi (1892–1981)
Aus Tôkyô, Sohn eines Arztes, wird nach einer umfassenden Fachausbildung Professor der
Shôwa-Medizinhochschule, dann Mitarbeiter an der Klinik seines Vaters und medizinischer
Berater des Kaiserhofes. Nach dem Erscheinen seines ersten Haiku-Bandes löst er sich 1931
von der Hototogisu-Gruppe, da er sich durch Takahama Kyoshi* inhaltlich eingeschränkt fühlt,
und gründet eine eigene Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“). Über 20 weitere Haiku-Bände
erscheinen. Ab 1952 im Ruhestand, lebt er dem Genuß von Bildungsreisen.
夜
船
待
つ
ひ
と
ま
ど
ろ
み
に
蚊
帳
く
ら
し
94
舟
の
蚊
火
し
ば
ら
く
蓮
を
照
す
な
り
宵
浅
き
灯
に
絵
団
扇
の
品
さ
だ
め
靴
脱
に
女
草
履
や
沈
丁
花
椅
子
よ
せ
て
菊
の
か
ほ
り
に
も
の
を
書
く
isu yosete
kiku no kaori ni
mono wo kaku
Ich rücke meinen Stuhl
in den Duft von Chrysanthemen –
und schreibe …
kutsunugi ni
onna zôri ya
jinchôge
Am Trittstein des Hauses
die Strohsandalen eines Mädchens –
süßer Duft von Seidelbast …
yoi asaki
hi ni e'uchiwa no
shina sadame
Bemalte Fächer,
in der Abenddämmerung
schwach beleuchtet – zur Auswahl
fune no kahi
shibaraku hasu wo
terasu nari
Das Mückenfeuer des Bootes
scheint eine Weile
auf die Lotosblüten
yofune matsu
hito madoromi ni
kaya kurashi
Warten auf die Nachtfähre –
ein Schläfchen im Dunkeln
unter dem Mückennetz
95
曇
り
来
て
諸
仏
面
伏
す
雨
蛙
96
天
使
像
く
だ
け
て
初
夏
の
蝶
群
れ
を
り
螢
火
の
細
藺
に
す
が
る
水
あ
か
り
hotarubi no
hosoi ni sugaru
mizuakari
Glühwürmchen
klammern sich an schmale Binsen –
spiegeln sich im Wasser
tenshizô
kudakete shoka no
chô mure ori
Engelsstatuen verfallen,
Frühsommers Schmetterlinge
schwärmen aus
kumori kite
shobutsu omobusu
amagaeru
Der Himmel bewölkt –
die Buddhas neigen ihr Haupt
zu den Regenfröschen
97
村上鬼城
Murakami Kijô (1865–1938)
In Tôkyô geborener Dichter mit einem tragischen Leben: Er muß sein Studium wegen früher
Taubheit abbrechen und lebt 45 Jahre lang mit seiner Familie und zehn Kindern in unvorstellbarer Armut, nachdem er seine Stellung als Schreiber verloren hat und sein Haus abgebrannt
ist, abhängig von der Unterstützung durch wohltätige Freunde. Dichten unter dem Einfluß von
Masaoka Shiki* ist seine einzige Freude, seine Haiku und literarischen Essays (etwa über den
ebenfalls tauben Bashô-Schüler Sampû) erscheinen in Hototogisu („Bergkuckuck“).
小
百
姓
の
醉
う
て
ね
む
る
や
月
の
秋
98
兩
親
に
一
つ
づ
つ
あ
る
湯
婆
か
な
埋
火
や
思
ひ
出
る
こ
と
皆
詩
な
り
古
を
好
む
男
の
蕎
麥
湯
か
な
け
ふ
の
月
馬
も
夜
道
を
好
み
け
り
古
沼
に
河
童
の
戀
や
月
朧
furunuma ni
kappa no koi ya
tsukioboro
Im alten Moor
lieben sich die Wasserkobolde –
dunstverhangen der Mond
kyô no tsuki
uma mo yomichi wo
konomikeri
Herrlicher Vollmond!
Auch mein Pferd liebt diesen Pfad
durch solch eine Nacht
inishie wo
konomu otoko no
sobayu kana
Ein Mann, der
die gute alte Zeit liebt:
Er nimmt ein Buchweizenbad!
uzumibi ya
omoiizuru koto
mina shi nari
Glut unter der Asche.
Alles, was mir in den Sinn
kommt – Poesie
ryôshin ni
hitotsuzutsu aru
tampo kana
Meine Eltern,
beide haben sie nun
eine Wärmflasche …
kohyakushô no
youte nemuru ya
tsuki no aki
Betrunken schläft
ein armer Bauer –
unter dem Herbstmond
99
永田耕衣
Nagata Kôi (1900–1997)
Aus der Präfektur Hyôgo, wird Maschineningenieur und später Produktionschef einer Papierfabrik. Beschäftigt sich intensiv mit dem Zen-Buddhismus. Dichtet Haiku seit 1916 und entfaltet nach und nach eine umfangreiche literarische Tätigkeit als Mitarbeiter von zahlreichen Zeitschriften und Herausgeber einer eigenen, Riraza („Gilde der Lyra“). Greift zurück auf Bashôs
Vorstellungen des Haiku und kritisiert die Sichtweise des Hototogisu („Bergkuckuck“). Mit seiner ungewöhnlichen und humorvollen Ausdrucksweise findet er große Unterstützung bei den
Anhängern des freien Haiku.
尿
の
出
て
身
の
存
續
す
麥
の
秋
月
遠
し
胸
に
抱
き
し
め
ゐ
る
孫
も
退
職
す
海
行
く
鯛
と
同
じ
向
き
に
靑
稻
を
バ
ス
浮
か
れ
行
く
世
は
一
ト
時
100
蝶
越
ゆ
る
土
塀
の
厚
味
命
短
か
し
chô koyuru
dobei no atsumi
inochi mijikashi
Wie dick die Mauer,
die der Schmetterling überfliegt –
und wie kurz sein Leben …
ao'ine wo
basu ukareyuku
yo wa hitotoki
Grüne Reishalme
vom Bus zum Wogen gebracht –
wie flüchtig die Welt
taishoku su
umi yuku tai to
onaji muki ni
Rentner-Dasein:
wie eine Goldbrasse,
die durch das Meer zieht
tsuki tôshi
mune ni dakishime
iru mago mo
Weit entrückter Mond …
Das Enkelkind klammert sich
fest an meine Brust
nyô no dete
mi no sonzoku su
mugi no aki
Man hat seine Notdurft,
setzt sein Leben fort.
Kornernte im Herbst
101
内藤鳴雪
Naitô Meisetsu (1847–1926)
Ursprünglicher Name Naitô Motoyuki. Anfangs Beamter des Fürstentums Matsuyama, später
am Kultusministerium tätig, gibt das Amt nach dem Attentat auf den Kultusminister Mori
Arinori (1889) auf. Gehört zum Kreis der Haiku-Reformer und Kritiker um Masaoka Shiki*.
里
の
女
や
蠶
飼
の
神
の
朝
詣
102
行
水
の
巫
女
に
慣
れ
よ
る
小
鹿
か
な
冬
の
夜
や
子
犬
啼
き
よ
る
窓
明
り
木
枯
や
空
に
こ
ろ
が
る
月
ひ
と
つ
元
日
や
一
系
の
天
子
不
二
の
山
ganjitsu ya
ikkei no tenshi
Fuji no yama
Neujahrstag!
Uralte Tennô-Dynastie,
einzigartiger Fuji
kogarashi ya
sora korogaru
tsuki hitotsu
Eisiger Wind!
Über den Himmel rollt
ein einziger Mond
fuyu no yo ya
koinu nakiyoru
madoakari
Kalte Winternacht!
Im Schein des Fensters
drängen sich winselnd Welpen
gyôzui no
miko ni nareyoru
kojika kana
Dem Bad der Tempeljungfrauen
nähert sich vertraut
ein Rehkitz
sato no me ya
kogai no kami no
asa môde
Die Frau aus dem Dorf
pilgert zum Gott der Seidenraupen
am Morgen
103
中島斌雄
Nakajima Takeo (1908–1988)
Aus Tôkyô stammend, begeistert sich schon seit seiner Mittelschulzeit für Haiku-Dichtung.
Wird als Student Mitglied der Haiku-Gruppe an der Universität Tôkyô. Von Takahama Kyoshi* angeregt, erscheinen seine Gedichte in der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“). Auch
von Hara Sekitei* und Mizuhara Shûôshi* beeinflusst.
友
來
ぬ
と
き
め
て
春
雪
霏
々
と
降
る
104
小
麥
粉
の
庫
に
て
午
睡
一
人
な
ら
ず
砂
日
傘
黄
色
の
女
よ
こ
た
は
る
孤
り
の
夜
手
に
や
は
ら
か
く
蛾
の
翅
風
夜
汽
車
暑
く
發
ち
ゆ
く
ジ
ヤ
ズ
が
追
ひ
か
け
る
ジ
エ
ツ
ト
機
へ
な
げ
う
つ
海
盤
車
光
る
秋
jetto-ki he
nageutsu hitode
hikaru aki
Zum Düsenflieger empor
werfe ich den Seestern –
in den strahlenden Herbst!
yogisha atsuku
tachiyuku jazu ga
oikakeru
Der Nachtzug fährt ab
in der Hitze, Jazz-Musik
jagt ihm hinterher …
hitori no yo
te ni yawarakaku
ga no hakaze
Einsame Nacht:
ein Falter zart auf meiner Hand
Hauch seines Flügelschlags
sunahigasa
kiiro no onna
yokotawaru
Sandstrand mit Sonnenschirm:
gelb gekleidet liegt dort
eine Frau …
komugiko no
kura nite gosui
hitori narazu
In der Mehlkammer
ein Mittagsschläfchen gemacht –
doch nicht allein!
tomo konu to
kimete shunsetsu
hihi to furu
Jetzt kommt sie nicht mehr –
meint der Frühlingsschnee und
fällt in dichten Flocken
105
中村草田男
Nakamura Kusatao (1901–1983)
Sohn eines Diplomaten, geboren in Amoy (China), wächst in Matsuyama auf und studiert an
der Universität Tôkyô Germanistik. Großes Interesse an Nietzsche, Hölderlin, Dostojewski
und Tschechow, schreibt seine Doktorarbeit 1933 jedoch über Masaoka Shiki*. Arbeitet 34
Jahre lang als Lehrer an verschiedenen Schulen. Seit 1928 dichtet er Haiku. Von Takahama
Kyoshi* in die Haiku-Gruppe der Universität Tôkyô eingeführt, wird er Mitarbeiter der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“). Ab 1946 hat er eine eigene Zeitschrift, Banryoku („Sommerliches Grün“). Er schreibt auch Novellen, die er Märchen nennt.
妻
戀
し
炎
天
の
岩
石
も
て
擊
ち
106
月
に
飛
び
月
の
色
な
り
草
か
げ
ろ
ふ
夕
汽
笛
一
す
ぢ
寒
し
い
ざ
妹
へ
乳
母
車
搖
る
る
林
檎
を
持
ち
つ
づ
け
母
老
い
ぬ
裸
の
胸
に
顏
の
影
haha oinu
hadaka no mune ni
kao no kage
Meine Mutter so alt.
Auf der nackten Brust
der Schatten des Gesichts
ubaguruma
yururu ringo wo
mochitsuzuke
Den Kinderwagen schaukelt
die Amme, fest in der Hand
den Apfel
yû kiteki
hitotsuji samushi
iza imôto he
Dampfsirene am Abend –
ein langer, kalter Ton.
Auf zur Geliebten!
tsuki ni tobi
tsuki no iro nari
kusakagerô
Fliegen auf den Mond zu,
mondfarben – Goldaugen
aus dem Gebüsch
tsuma koishi
enten no ganseki
mote'uchi
Eine Frau lieben:
In den flimmernden Himmel
Felsbrocken schleudern
107
永
久
に
生
き
た
し
女
の
聲
と
蟬
の
音
と
108
葡
萄
食
ふ
一
語
一
語
の
如
く
に
て
頭
を
伏
せ
し
蜥
蜴
と
聽
け
り
日
の
言
葉
zu wo fuseshi
tokage to kikeri
hi no kotoba
Den Kopf geneigt
die Eidechse, mit der ich
der Sonne lausche
budô kuu
ichigo ichigo no
gotoku nite
Weintrauben essen –
als äße man sie
Wort für Wort …
towa ni ikitashi
onna no koe to
semi no ne to
Weiterleben wollt’ ich
mit der Stimme einer Frau
und Zikadenzirpen …
109
中村汀女
Nakamura Teijo (1900–1988)
Eigentlich Nakamura Hamako, aus Kumamoto, wo sie die Höhere Töchterschule absolviert.
Sie dichtet von ihrem 18. Lebensjahr an. 1920 Heirat mit Nakamura Shigeki. Gehört zum
Kreis der Hototogisu-Dichter. Nach längerer Unterbrechung gründet sie 1947 die Zeitschrift
Kazahana („Verwehte Schneeflocken“).
遊
女
屋
の
あ
な
高
座
敷
星
祭
110
噴
水
の
ま
し
ろ
に
の
ぼ
る
夜
霧
か
な
あ
は
れ
子
の
夜
寒
の
床
の
引
け
ば
寄
る
春
泥
や
赤
い
足
袋
の
子
馳
せ
お
く
れ
夜
の
雪
の
小
車
の
荷
に
顏
を
寄
せ
yo no yuki no
oguruma no ni ni
kao wo yose
Nächtlicher Schnee
auf der Ladung des kleinen Karrens –
ich kühl’ mein Gesicht daran
shundei ya
akai tabi no ko
haseokure
Frühlingsmatsch:
in roten Socken läuft ein Kind
hinter den anderen her …
aware ko no
yosamu no toko no
hikeba yoru
Armes Kind!
Bekommt im Schlaf die Decke weggezogen,
rückt näher heran …
funsui no
mashiro ni noboru
yogiri kana
Hellweiß steigt die
Fontäne empor – hoch
in den nächtlichen Himmel …
yûjoya no
ana takazashiki
hoshimatsuri
Im besten Saal des
Bordells feiern sie
das Fest der Liebessterne!
111
中塚一碧樓
Nakatsuka Ippekirô (1887–1946)
Aus Okayama, geht 20jährig nach Tôkyô, bricht jedoch sein Studium an der WasedaUniversität ab. Trifft dort mit dem Kreis der Haiku-Reformer um Kawahigashi Hekigotô* zusammen, in dessen Haiku-Kolumne Nihon haiku seine frühen Gedichte erscheinen. Vorkämpfer
des „freien Haiku“ hinsichtlich Form und Themen, in dem die Umgangssprache verwendet
wird, tritt er für die Entwicklung eines persönlichen Stils in den Gedichten ein und stellt sich
gegen die Übermacht mancher Haiku-Zeitschriften. Später, nach seiner Erstlingssammlung
„Hakagura“ (1913), gründet er die Zeitschrift Kaikô („Meeresrot“). Es folgen sechs weitere
Sammlungen. Einer der Theoretiker und Kritiker innerhalb der Bewegung um Kawahigashi
Hekigotô.
炭
の
に
ほ
ひ
す
故
人
爐
の
端
へ
來
る
112
處
女
が
せ
ま
い
〳
〵
芒
の
道
の
よ
ろ
こ
び
ト
ル
コ
の
よ
う
な
浴
場
が
欲
し
い
場
末
の
秋
だ
草
靑
々
牛
は
去
り
kusa aoao
ushi wa sari
Das Gras knallgrün –
die Kuh wendet sich ab
toruko no yô na
yu ga hoshii
basue no aki da
Wie wünscht’ ich mir
jetzt so ein türkisches Bad!
Vorstadt im Herbst …
shojo ga semai-semai
susuki no michi no
yorokobi
Ein Mädchen zwängt sich
hindurch: die Freude eines
von Stielblütengras gesäumten Hohlwegs
sumi no nioi su
kojin ro no
hashi he kuru
Holzkohlenduft –
die Geister der Toten rücken
näher an die Feuerstelle heran
113
夏目漱石
Natsume Sôseki (1867–1916)
Ursprünglich Natsume Kinnosuke, aus Tôkyô, einer der bedeutendsten Schriftsteller des modernen Japan. Studiert Architektur und Englische Literatur und verbringt nach seinem Studienabschluß zwei wegen Armut sehr unangenehme Jahre in London, wird schließlich Professor an
der Universität Tôkyô. Von seinem Freund Masaoka Shiki* zum Dichten angeregt, veröffentlicht er seinen ersten Roman in Hototogisu („Bergkuckuck“). 1907 reicht er seinen Rücktritt ein,
um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Das Haiku-Dichten betrachtet er als „FingerÜbung“ – und verfaßt über 2.500 Gedichte.
梅
ち
る
や
月
夜
に
廻
る
水
車
114
時
雨
る
ゝ
や
泥
猫
眠
る
経
の
上
白
蓮
に
い
や
し
か
ら
ざ
る
朱
欗
か
な
有
る
程
の
菊
抛
げ
入
れ
よ
棺
の
中
aruhodo no
kiku nageireyo
kan no naka
Die vielen Chrysanthemen da,
werft sie doch alle
in den Sarg!
Am Teich des Schreins von Tsurugaoka
byakuren ni
iyashikarazaru
shuran kana
Neben den weißen Lotosblüten,
nicht zu grell,
das rote Schreingeländer
shigururu ya
doroneko nemuru
kyô no ue
Herbstregen!
Schmuddelnaß schläft die Katze
auf meinem Sutren-Heft
ume chiru ya
tsukiyo ni mawaru
mizuguruma
Fallende Pflaumenblüten.
Darunter dreht sich im Mondschein
ein Mühlrad …
115
菫
程
な
小
さ
き
人
に
生
れ
た
し
116
肩
に
來
て
人
懷
か
し
や
赤
蜻
蛉
朧
夜
や
顔
に
似
合
ぬ
恋
も
あ
ら
ん
oboroya ya
kao ni awanu
koi mo aran
In dunstiger Mondnacht:
Die zwei Gesichter passen nicht zusammen,
lieben sich doch
Lieber als die Menschen – den Himmel;
lieber als Worte – Schweigen
kata ni kite
hito natsukashi ya
akatombo
Nähert sich meiner Schulter,
sehnt sich nach Menschenwärme –
die rote Libelle
sumire hodo na
chiisaki hito ni
umaretashi
Als Mensch
in Veilchengröße möchte ich
wiedergeboren werden
117
野澤節子
Nozawa Setsuko (1920–1995)
Dichterin aus Yokohama. Kann die Mittelschule wegen Krankheit nicht beenden. Auf ihrem
Krankenlager durch die Lektüre von Bashôs Gedichten und durch Ôno Rinkas* Haiku angeregt,
beginnt sie selbst zu dichten. Ihre ersten Haiku erscheinen im Shakunage („Rhododendron“),
später in der von ihr selbst herausgegebenen Zeitschrift Hama („Strand“).
飛
雪
い
よ
い
よ
は
げ
し
吾
れ
の
み
見
の
こ
り
で
118
壺
に
眞
白
降
雪
前
に
切
り
し
梅
醫
師
去
つ
て
初
霜
の
香
の
殘
り
け
り
外
燈
下
乙
女
ひ
ら
り
と
過
ぎ
涼
し
袖
か
さ
ね
寒
き
わ
が
胸
抱
く
ほ
か
な
し
迷
ふ
蟻
追
ふ
も
殺
す
も
ひ
と
り
の
吾
mayou ari
ou mo korosu mo
hitori no ware
Die verirrte Ameise
töten oder verjagen –
ich bleib’ allein
sode kasane
samuki waga mune
daku hoka nashi
Die Ärmel übereinandergelegt,
meinen kalten Leib zu umarmen –
was bleibt mir sonst
gaitô shita
otome hirari to
sugi suzushi
Im Laternenlicht
geht flink ein Mädchen vorbei –
angenehme Kühle
ishi satte
hatsushimo no ka no
nokorikeri
Der Arzt ist gegangen –
der Duft des ersten Frostes
blieb zurück …
tsubo ni mashiro
kôsetsu mae ni
kirishi ume
In der Vase Pflaumenblüten –
geschnitten noch vor dem
blendend-weißen Schnee
hisetsu iyo-iyo
hageshi ware nomi
minokori de
Das Schneetreiben
wurde zum Schneesturm –
ich allein bleib’ und schaue …
119
荻原井泉水
Ogiwara Seisensui (1884–1976)
Aus Tôkyô, absolviert die Universität Tôkyô mit den Fächern Linguistik und Deutsche Literatur,
übersetzt Goethe und verficht mit Kawahigashi Hekigotô* einen neuen, freien, nicht silbengebunden Haiku-Stil. Sein Organ wird die Zeitschrift Sôun („Wolkenbänder“). Entgegen Masaoka Shikis* Buson-Liebe ist er mehr von Bashô und der Menschennähe eines Issa eingenommen. Zu seinen Schülern zählen Ozaki Hôsai* und Taneda Santôka*. Schicksalsschläge Anfang der 20er Jahre
(Frau und Kind sterben im großen Erdbeben 1923, seine Mutter im gleichen Jahr) intensivieren
seine dichterische und schriftstellerische Tätigkeit (ca. 300 Kurzstudien). Ausgedehnte Wanderungen durch ganz Japan.
和
尚
桃
の
一
枝
う
ち
の
子
に
わ
た
し
て
後
ろ
姿
か
え
る
120
日
の
湯
月
の
湯
ふ
ぐ
り
も
つ
者
乳
房
も
つ
者
そ
れ
ぞ
れ
に
は
い
る
ふ
た
り
だ
け
の
月
の
世
界
を
お
も
う
と
き
地
ふ
る
ふ
夜
半
の
深
き
井
戸
水
を
釣
る
花
み
か
ん
の
香
に
雨
は
る
る
巡
禮
笠
力
い
っ
ぱ
い
に
泣
子
と
鳴
く
鳥
と
の
朝
chikara ippai ni
naku ko to naku
tori to no asa
Ein Morgen ist das –
es schreien aus voller Kraft
Hähne und Babys!
hanamikan no
ka ni ame haruru
junreigasa
Im Duft von Mandarinenblüten
klärt sich der Himmel
über Pilgerhüten
aus: „11 Gedichte anläßlich des Großen Bebens von 1923“
tsuchi furuu
yahan no fukaki ido
mizu wo tsuru
Die Erde bebt –
um Mitternacht aus tiefem Brunnen
schöpf’ ich Wasser
futari dake no
tsuki no sekai to
omou toki
In diesem Augenblick
gehört die ganze Mondscheinwelt
uns beiden nur
hi no yu tsuki no yu
fuguri motsu mono chibo motsu mono
sorezore ni
Quellbad bei Sonne, Quellbad bei Mond –
die einen mit Hoden, die andern mit Brüsten,
jeweils für sich
oshô momo no isshi
uchi no ko ni watashite
ushirosugata kaeru
Ein Mönch – gab unserem Kind
einen Pfirsichblütenzweig,
zurück sieht man ihn gehen …
121
は
だ
か
月
を
も
よ
う
す
122
石
の
ま
ろ
さ
雪
に
な
る
雨
降
る
蛙
の
池
が
笑
ふ
老
い
て
老
梅
を
愛
し
こ
と
し
大
い
に
ひ
ら
く
太
陽
と
石
上
の
蛇
人
ひ
と
り
無
し
朝
は
す
こ
し
冷
え
る
こ
と
を
湯
女
と
蜆
の
か
ら
asa wa sukoshi
hieru koto wo
yuna to shijimi no kara
An diesem Morgen fröstelt mich
beim Blick auf das Bademädchen
und leere Muschelschalen …
taiyô to
ishiue no hebi
hito hitori nashi
Sonnenschein,
auf dem Stein eine Schlange –
kein einziger Mensch …
oite
rôbai wo aishi
kotoshi oi ni hiraku
Immer mehr
lieb’ ich den alten Pflaumenbaum,
so schön in diesem Jahr
ame furu
kawazu no ike ga
warau
Es regnet.
Der Teich mit seinen Fröschen
lacht
ishi no marosa
yuki ni naru
Das Rund der Steine
wird zu Schnee
hadaka
tsuki wo moyôsu
Nackt –
spüre ich den Mond in mir!
123
及川貞
Oikawa Tei (1899–1993)
Nach Abschluß ihrer Studien an einem Gymnasium für Höhere Töchter beginnt die Dichterin
aus Tôkyô sich mit Haiku zu beschäftigen. Schülerin des Mizuhara Shûôshi*. 1938 wird sie
Mitarbeiterin der Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“). Sie verliert zwei Töchter im Krieg. Als
Kennerin der Tee-Zeremonie bekannt.
子
の
船
を
い
つ
ま
で
沖
の
霧
が
つ
ゝ
む
124
朝
ご
ゝ
ち
み
だ
す
も
の
な
く
落
葉
焚
く
灯
と
も
さ
ず
入
り
て
十
六
夜
温
泉
こ
ぼ
す
夜
蛙
の
門
を
と
ざ
し
に
來
て
暫
し
廚
ご
と
終
へ
し
手
拭
け
ば
ほ
と
と
ぎ
す
kuriyagoto
oeshi te fukeba
hototogisu
Die Küchenarbeit
beendet – beim Händetrocknen
ruft der Kuckuck
yo-kawazu no
kado wo tozashi ni
kite shibashi
Ihr Frösche der Nacht
kommt mein Tor zu verschließen
für eine Weile!
hi tomosazu
irite izayoi
deyu kobosu
Mache kein Licht im Bad,
bei fast vollem Mond –
das heiße Wasser läuft über …
asagokochi
midasu mono naku
ochiba taku
Meine Morgenstimmung
lass’ ich mir nicht verderben
beim Laubverbrennen
Bei der Begrüßung meiner Tochter Hiroko,
die von einem Studium in Übersee zurückkehrte
ko no fune wo
itsu made oki no
kiri ga tsutsumu
Wie lange verbirgt er noch
das Schiff mit meinem Kind –
dichter Nebel auf dem offenen Meer …
125
大野林火
Ôno Rinka (1904–1982)
Dichter, Kritiker und Essayist aus Yokohama, absolviert ein volkswirtschaftliches Studium,
später bis 1947 im Schuldienst. Seine ersten Werke, dabei auch Kritiken, erschienen in Shakunage („Rhododendron“). Seit 1923 Schüler des Usuda Arô*. 1936 gründet er die Zeitschrift
Hama („Strand“). Von 1953–1956 Herausgeber der Zeitschrift Haiku beim Verlag Kadokawa.
母
の
咳
道
に
て
も
聞
え
悲
し
ま
す
126
ね
む
り
て
も
旅
の
花
火
の
胸
に
ひ
ら
く
月
の
街
燈
に
強
弱
の
あ
る
あ
は
れ
早
乙
女
を
晝
見
き
ゆ
ふ
べ
月
を
見
き
と
も
に
裸
身
と
も
に
浪
聽
き
父
子
な
る
tomo ni rashin
tomo ni nami kiki
oyako naru
Lauschen beide
der Brandung, beide nackt –
ein Vater mit seinem Sohn
saotome wo
hiru miki yûbe
tsuki wo miki
Tagsüber den Mädchen
beim Setzen der Reispflanzen –
abends dem Mond zugeschaut!
tsuki no machi
hi kyôjaku no
aru aware
Das Straßenlicht unterm Mond
flackert, mal hell, mal dunkel –
ist das nicht traurig!
nemuritemo
tabi no hanabi no
mune ni hiraku
Feuerwerksblüten, die ich
unterwegs sah, blühen mir
auch im Schlaf noch
haha no seki
michi nitemo kikoe
kanashimasu
Der Husten meiner Mutter
entlang der Straße –
bedrückend hört es sich an
127
梅
雨
見
つ
め
を
れ
ば
う
し
ろ
に
妻
も
立
つ
128
無
月
の
濱
白
浪
あ
り
て
さ
び
し
か
ら
ず
晝
酒
の
唄
や
枯
野
へ
筒
拔
け
に
本
買
へ
ば
表
紙
が
匂
ふ
雪
の
暮
繪
を
溢
る
る
赤
を
寒
夜
の
よ
ろ
こ
び
に
e wo afururu
aka wo kan'ya no
yorokobi ni
Das überfließende Rot
dieses Bildes – Freude
dieser kalten Nacht
hon kaeba
hyôshi ga niou
yuki no kure
Kaufe ein Buch
und genieß’ den Geruch des Umschlags –
Abend eines Schneetags
hiruzake no
uta ya kareno he
tsutsunuke ni
Das Lied der Zecher
schallt schon früh am Mittag weithin
aufs öde Land
mugetsu no hama
shiranami arite
sabishikarazu
Der Meeresstrand mondlos,
weiße Wellenkämme,
fühle mich nicht einsam
tsuyu mitsume
oreba ushiro ni
tsuma mo tatsu
Langer Regenmonat …
Ich starre hinaus,
hinter mir meine Frau
129
大須賀乙字
Ôsuga Otsuji (1881–1920)
Haiku-Dichter und -Kritiker der Schule von Kawahigashi Hekigotô* aus der Präfektur Fukushima. Studiert japanische Literatur an der Universität Tôkyô und geht anschließend in den
Schuldienst. Seine Gedichte erscheinen zunächst in Tageszeitungen, später in verschiedenen
Haiku-Zeitschriften wie Sôun („Wolkenbänder“), Shakunage („Rhododendron“) und Kaikô
(„Meeresrot“), an einigen dieser Zeitschriften ist er mit befreundeten Dichtern zusammen
ständiger Mitarbeiter.
朝
顏
に
起
き
ぬ
け
し
兒
の
破
顏
か
な
130
秋
晴
や
畑
仕
事
し
て
柿
の
味
雷
止
ん
で
凉
し
き
夜
の
枕
か
な
砂
丘
行
く
風
の
砂
立
た
ず
夏
の
月
待
つ
春
や
病
忘
れ
の
膳
仕
度
matsu haru ya
yami wasure no
zenshitaku
In Erwartung des Frühlings
richt’ ich das Neujahrsessen und
vergess’ dabei meine Leiden …
sakyû yuku
kaze no suna tatazu
natsu no tsuki
Über die Dünen streicht Wind,
kein Sandkorn regt sich –
Sommermond
rai yande
suzushiki yoru no
makura kana
Das Donnern verhallt,
kühler jetzt die Nacht
auf meinem Kissen …
akibare ya
hatake shigoto shite
kaki no aji
Herbstklarer Tag –
während der Feldarbeit
im Munde der Geschmack der Kaki-Früchte!
asagao ni
okinukeshi ko no
hagan kana
Wegen der Trichterwinde
strahlt, eben erwacht,
ein Kindergesicht!
131
尾崎放哉
Ozaki Hôsai (1885–1926)
Aus Tottori, studiert zunächst Jura an der Universität Tôkyô und wird dann Angestellter einer
Lebensversicherung. Schon früh unter dem Einfluß der Haiku-Dichtung des Ogiwara Seisensui*. Innere Leere und Alkoholprobleme bewegen ihn, seine Frau und Tôkyô zu verlassen.
Lebt als Mönch, dann als Tempeldiener in Klöstern der Gegend um Kyôto, Ôsaka und Nara,
und beginnt, Haiku zu dichten. Als Thema wählt er seine Tage in Einsamkeit und die Betrachtung seines Lebens und kümmert sich nicht um traditionelle Haiku-Vorschriften. Zieht sich auf
eine kleine Insel in der japanischen Inlandsee zurück, wo er 1926 stirbt. Seine Anthologie Taikû
(„Große Leere“) erscheint erst nach seinem Tod.
鐘
つ
い
て
去
る
鐘
の
餘
韻
の
中
132
わ
が
肌
を
も
む
あ
ん
ま
何
を
思
ひ
つ
つ
淋
し
い
ぞ
一
人
五
本
の
ゆ
び
を
開
い
て
見
る
眼
を
や
め
ば
片
目
淋
し
く
手
紙
書
き
居
る
夜
の
木
の
肌
に
手
を
添
へ
て
待
つ
疊
を
歩
く
雀
の
足
音
を
知
つ
て
居
る
tatami wo aruku
suzume no ashioto wo
shitte iru
Über die Matten
hüpft ein Sperling – welch ein
vertrautes Geräusch
yoru no ki no
hada ni te wo
soete matsu
Die Hand auf der
Rinde eines Baumes warte ich
hier in der Nacht
me wo yameba
katame sabishiku
tegami kakioru
Mein Auge schmerzt,
traurig schreibe ich mit dem
anderen weiter …
sabishii zo
hitori gohon no yubi wo
hiraite miru
Wie einsam bin ich doch!
Ich spreize die fünf Finger
an meiner Hand
waga hada wo
momu amma nani wo
omoitsutsu
Der blinde Mann,
der mich massiert – woran
er wohl denken mag
kane tsuite
saru kane no
yoin no naka
Nach dem Anschlagen
der Glocke gehe ich
in ihrem Nachklang weg
133
す
ば
ら
し
い
乳
房
だ
蚊
が
居
る
134
お
祭
り
赤
ン
坊
寢
て
ゐ
る
乞
食
日
の
丸
の
旗
の
ふ
ろ
し
き
も
つ
春
が
來
た
と
大
き
な
新
聞
廣
告
障
子
に
近
く
蘆
枯
る
る
風
音
靜
か
な
る
か
げ
を
動
か
し
客
に
茶
を
つ
ぐ
も
や
の
中
水
音
逢
ひ
に
行
く
な
り
moya no naka
mizuoto ai ni
yuku nari
Im Nebel
geh ich, dem Rauschen
des Wassers zu begegnen
shizuka naru
kage wo ugokashi
kyaku ni cha wo tsugu
Dem stillen Schatten
flöße ich Leben ein:
schenke dem Gast Tee nach …
shôji ni chikaku
ashi karuru
kazeoto
Nahe den Schiebetüren
vertrocknet das Schilf –
man hört es bei Wind
haru ga
kita to ôkina
shimbun kôkoku
„Der Frühling ist da!“
schreibt in großer Aufmachung
die Zeitungsanzeige
kojiki
hi no maru no hata no
furoshiki motsu
Der Bettler hat
ein Tragetuch aus dem Stoff
der Nationalflagge!
o-matsuri
akambô
nete iru
Schreinfest –
das Wickelkind
in tiefem Schlaf!
subarashii
chibusa da
ka ga iru
Prächtige
Frauenbrüste –
darauf eine Mücke!
135
西東三鬼
Saitô Sanki (1900–1962)
Sohn eines Schulinspektors aus der Präfektur Okayama. Läßt sich als Zahnarzt ausbilden und
praktiziert bis 1929 in Singapur, danach in Tôkyô, wo um 1932 sein Interesse an HaikuDichtung geweckt wird. Seine Haiku gehören zur Avantgarde-Dichtung. 1940 kommt er bei
der Unterdrückungskampagne gegen die „Neue Haiku-Bewegung“ aufgrund seiner antinationalistischen Haltung für mehrere Monate ins Gefängnis und muß zusichern, seine dichterischen Aktivitäten einzustellen. Nach dem Krieg aktiver Mitarbeiter bei mehreren Zeitschriften,
insbesondere bei Yamaguchi Seishis* Tenrô („Sirius“), wird dann Herausgeber der Zeitschrift
Haiku.
戀
過
ぎ
し
猫
よ
と
か
げ
を
食
ひ
太
れ
136
行
列
や
嬰
兒
拳
を
立
て
て
泣
く
狂
院
を
め
ぐ
り
て
暗
き
盆
踊
寒
夜
明
る
し
別
れ
て
少
女
馳
け
出
だ
す
夜
の
湖
あ
あ
白
い
手
に
燐
寸
の
火
yoru no umi
â shiroi te ni
matchi no hi
Nächtliches Meer –
das flackernde Licht des Streichholzes
auf deiner weißen Hand
kan'ya akarushi
wakarete shôjo
kake'idasu
Helle eiskalte Nacht.
Schnell läuft das Mädchen fort,
von dem ich mich trennte
kyôin wo
megurite kuraki
bon'odori
Rundgang durchs Irrenhaus:
Sie feiern das Bon-Fest
mit einem Tanz im Dunkeln …
gyôretsu ya
eiji kobushi wo
tatete naku
Eine Prozession!
Das Kind in Windeln ballt
seine Faust und weint
koisugishi
neko yo tokage wo
kuifutore
Du Kater –
einst so liebestoll! Friss jetzt
Eidechsen und werde wieder fett …
137
水
枕
ガ
バ
リ
と
寒
い
海
が
あ
る
138
女
あ
た
た
か
氷
柱
の
雫
く
ぐ
り
出
で
海
に
足
浸
る
三
日
月
に
首
吊
ら
ば
身
に
貯
へ
ん
全
山
の
蝉
の
聲
對
岸
の
人
と
寒
風
も
て
つ
な
が
る
taigan no
hito to kampû
mote tsunagaru
Mit dem am
Ufer gegenüber verbunden
durch den kalten Wind …
mi ni takuwaen
zenzan no
semi no koe
Ansammeln möcht’ ich in mir
das Gesirr der Zikaden
eines ganzen Berges
umi ni ashi
shitaru mikazuki ni
kubitsuraba
Meine Füße tauchten schon
ins Meer – erhängte ich mich
an der Mondsichel …
onna atataka
tsurara no shizuku
kuguriide
Wärme einer Frau –
der Eiszapfen beginnt, sich
in Tropfen aufzulösen
Auf dem Krankenlager
mizumakura
gabari to samui
umi ga aru
Das Wasserkissen
bringt gluckernd mir die
ewige Kälte des weiten Meeres
139
佐藤鬼房
Satô Onifusa (1919–2002)
Aus Kamaishi, absolviert die Höhere Volksschule, wird Eisenbahnarbeiter und Mechaniker.
Veröffentlicht seine ersten Werke in der Zeitschrift Ku to hyôron („Haiku-Vers und Kritik“).
Nach dem Krieg erhält er seine weitere Ausbildung bei Saitô Sanki*, der zu den 1940 in Kyôto
inhaftierten Haiku-Dichtern gehört hatte. Seine Gedichte erscheinen in Zeitschriften wie Raikô
(„Blitz“), Yatôha („Nachträuber“), Tenrô („Sirius“) und Kaze („Wind“). Mitglied verschiedener
Haiku-Gruppen.
子
の
寢
顏
這
う
螢
火
よ
食
え
ざ
る
詩
140
こ
の
飢
え
や
遠
く
に
山
羊
と
蹴
球
と
父
の
方
へ
か
け
く
る
童
女
花
了
う
樹
戰
火
や
ま
ず
い
つ
わ
り
な
き
は
嬰
兒
の
便
貧
窶
の
口
あ
け
て
虹
仰
ぐ
妻
hinku no kuchi
akete niji aogu
tsuma
Mit dem offenen Mund der Armut
schaut meine Frau
zum Regenbogen
senka yamazu
itsuwari naki wa
eiji no ben
Gefechtsfeuer, das nicht endet …
Die Wahrheit zeigt sich
in den Windeln des Säuglings
chichi no hô he
kakekuru dôjo
hana shimau ki
Zum Vater läuft
das kleine Mädchen hin –
ein Baum, der schon verblüht ist
kono ue ya
tôku ni yagi to
shûkyû to
Ach, dieser Hunger!
In der Ferne Ziegen
und Fußballspiel
ko no negao
hau hotarubi yo
kuezaru shi
Überm Kindergesicht im Schlaf
kriecht ein Glühwürmchen –
ein Gedicht, nicht essbar
141
澤木欣一
Sawaki Kin'ichi (1919–2001)
Aus Toyama, aufgewachsen in Korea, zwei Kriegsjahre in der Mandschurei. Studiert an der
Universität Tôkyô das Fach Literatur. Beschäftigt sich seit seiner Studentenzeit mit HaikuDichtung, beeinflusst durch Katô Shûson* und Nakamura Kusatao*. Einer der bedeutendsten
Haiku-Dichter in den 20er-Jahren und nach dem Krieg. Mitarbeiter an den Zeitschriften Kanrai
(„Wintergewitter“) und Tenrô („Sirius“), gründet 1946 die Zeitschrift Kaze („Wind“), eine einflussreiche Zeitschrift des Haiku im neuen Stil. Lehrt an der Universität Kanazawa. Von 1987
bis 1993 Präsident der „Vereinigung der Haiku-Dichter“ (Haijin kyôkai).
一
呼
吸
ご
と
海
女
の
面
紅
潮
す
142
笹
鳴
や
滿
月
登
る
富
士
の
肌
バ
ケ
ツ
に
百
合
煙
草
を
買
い
に
産
屋
よ
り
指
と
ど
く
バ
ラ
ッ
ク
の
屋
根
薔
薇
の
箱
梨
賣
り
の
頰
照
ら
し
過
ぐ
市
電
の
燈
nashiuri no
ho terashisugu
shiden no hi
Die Pausbacken der
Birnenverkäuferin: kurz beschienen
von der fahrenden Tram
yubi todoku
barakku no yane
bara no hako
In greifbarer Nähe
das Barackendach und Kisten
mit den Zuchtrosen
baketsu ni yuri
tabako wo kai ni
ubuya yori
Kommt mit einem Strauß Lilien
von der Geburts-Station,
will Zigaretten kaufen
sasanaki ya
mangetsu noboru
Fuji no hada
Vogelzwitschern im Winter –
der Vollmond steigt
an der Haut des Fuji empor …
hitokokyû
goto ama no omote
kôchô su
Bei jedem Atemholen
wird das Gesicht der Taucherin
röter
143
島田靑峰
Shimada Seihô (1882–1944)
Dichter aus der Präfektur Mie, arbeitet nach dem Abschluß an der Waseda-Universität bis
1908 als Englischlehrer, wird dann Journalist der Zeitung Kokumin shimbun und Mitarbeiter an
Takahama Kyoshis* Hototogisu („Bergkuckuck“). Ab 1922 gibt er die Haiku-Zeitschrift Dojô
(„Auf der Erde“) heraus und schließt sich 1934 der „Neuen Haiku-Bewegung“ (Shinkô haiku) an.
Seit 1932 Dozent für Literatur an der Waseda-Unversität und Verfasser literaturgeschichtlicher
Arbeiten. Im Februar 1941 bei der Verfolgung von Haiku-Dichtern in Tôkyô inhaftiert. Durch
die Haft verschlechtert sich sein gesundheitlicher Zustand, er stirbt schließlich 1944 an den
Folgen.
咳
輕
し
春
の
曙
木
に
光
る
144
冬
籠
る
琴
の
袋
の
薄
埃
赤
き
月
殘
暑
の
町
に
昇
り
け
り
盆
に
殘
る
柿
の
一
つ
に
夜
冷
え
か
な
我
が
影
や
冬
の
夜
道
を
面
伏
せ
て
waga kage ya
fuyu no yomichi wo
omofusete
Mein Schatten wandert
auf Pfaden der Winternacht
mit gesenktem Kopf …
bon ni nokoru
kaki no hitotsu ni
yobie kana
Auf dem Tablett übrig
nur eine Kaki-Frucht –
Nachtkälte …
akaki tsuku
zansho no machi ni
noborikeri
Ein roter Mond
über der Stadt voll von Sommerhitze
steigt höher …
fuyugomoru
koto no fukuro no
usuhokori
Eine Laute im Winterschlaf.
Auf ihrer Hülle sammelt sich
feiner Staub …
seki karushi
haru no akebono
ki ni hikaru
Nur leichter Husten –
das Morgenrot des Frühlings
strahlt in den Bäumen
145
篠原梵
Shinohara Bon (1910–1975)
Geboren in der Präfektur Aichi, Abschluß 1934 im Fach Japanische Literatur an der Universität
Tôkyô. Fängt 1934 bei der politischen Zeitschrift Chûô kôron an und arbeitet sich bis zu seinem
Rückzug 1944 zum stellvertretenden Herausgeber hinauf. Zwischenzeitlich Professor eines
Lehrerseminars seiner Heimat. 1948 wieder Mitarbeit an der gleichen Zeitschrift in der Sparte
Jugendliteratur, alsbald leitender Herausgeber.
誰
か
咳
き
わ
が
ゆ
く
闇
の
奥
を
ゆ
く
146
犬
が
そ
の
影
よ
り
足
を
出
し
て
は
ゆ
く
閉
ぢ
し
翅
し
づ
か
に
ひ
ら
き
蝶
死
に
き
足
袋
は
く
や
吾
子
の
足
は
い
く
つ
入
る
ら
む
tabi haku ya
ako no ashi wa ikutsu
hairuramu
Beim Sockenanzieh’n:
das Füßchen meines Kindes –
wie oft passt es hinein?
tojishi hane
shizuka ni hiraki
chô shiniki
Die gefalteten Flügel
öffnen sich sachte:
der Schmetterling stirbt …
inu ga sono
kage yori ashi wo
dashitewa yuku
Aus dem eigenen Schatten
streckt der Hund das Bein hervor –
beim Gehen
dare ka seki
waga yuku yami no
oku wo yuku
Es hustet jemand beim Gehen
in dem tiefen Dunkel, durch
das ich mich taste
147
杉田久女
Sugita Hisajo (1890–1946)
Aus Kagoshima, absolviert die Höhere Töchterschule in Tôkyô, nachdem sie ihre Kindheit in
Taiwan und auf den Ryûkyû-Inseln verbracht hat. Schülerin des Takahama Kyoshi*. Ihre Werke
erscheinen von ihrem 25. Lebensjahr an in Hototogisu („Bergkuckuck“), zuerst Mitarbeiterin
dieser Zeitschrift, wird sie aber im Rahmen der Verfechtung strenger Haiku-Regeln durch
Kyoshi 1936, zusammen mit einer Reihe anderer Haiku-Dichter, von Hototogisu ausgeschlossen. Stirbt wegen Mangelernährung an einem Nierenleiden in Dazaifu.
菊
の
香
の
く
ら
き
佛
に
灯
を
獻
ず
148
旅
衣
春
ゆ
く
雨
に
ぬ
る
ゝ
ま
ゝ
羅
に
衣
通
る
月
の
肌
か
な
實
桑
も
ぐ
乙
女
の
朱
唇
戀
知
ら
ず
牡
丹
を
活
け
て
お
く
れ
し
夕
餉
か
な
botan wo
ikete okureshi
yûge kana
Päonien arrangierend
verrann die Zeit. Das Abendessen
viel zu spät …
mikuwa mogu
otome no shushin
koi shirazu
Mädchenlippen rot
beim Maulbeeressen – kennen
die Liebe noch nicht
usumono ni
so tôru tsuki no
hadae kana
Durch den dünnen Stoff
dringen die Mondstrahlen
auf meine nackte Haut
tabigoromo
haru yuku ame ni
nururu mama
Mein Reisegewand
vom Regen, der den Frühling fortträgt,
ganz durchnässt …
kiku no ka no
kuraki Hotoke ni
hi wo kenzu
Chrysanthemenduft
um das Buddha-Bild im Dunkel –
ich opfere ein Licht
149
鈴木六林
Suzuki Murio (1919–2004)
Aus Kishiwada in der Region Ôsaka. Bricht seine Studien an einer Handelsschule ab und veröffentlicht Haiku in Kaze („Wind“) und Tenrô („Sirius“). Trotz schwerer Verwundung und unheilbarer Verletzungen aus dem Krieg sehr produktiv.
わ
が
前
に
朝
の
も
の
購
う
女
の
肩
150
手
の
ひ
ら
に
礫
灼
け
い
る
飢
え
久
し
嬰
兒
の
赤
き
舌
を
見
た
れ
ば
直
ぐ
歸
る
大
佛
殿
ひ
と
あ
ら
ず
わ
が
聲
を
出
す
女
無
き
春
の
家
な
り
五
時
を
打
つ
onna naki
haru no ie nari
goji wo utsu
Mein Haus jetzt
ganz ohne Frau – im Frühling!
Es schlägt fünf Uhr
Daibutsu-den
hito arazu waga
koe wo dasu
In der Halle des großen Buddha
ganz allein –
rufe ich laut!
Als ich Frau und Kind während ihrer Evakuierung
am Rand von Izumi besuchte
midorigo no akaki
shita wo mitareba
sugu kaeru
Als ich die gerötete
Zunge des Neugeborenen sah,
machte ich schleunigst kehrt
te no hira ni
koishi yakeiru
ue hisashi
Auf meiner flachen Hand
brennt der sonnenheiße Kieselstein –
Hunger im Magen!
waga mae ni
asa no mono kau
onna no kata
Vor meinen Augen
die Schulter einer Frau –
sie kauft fürs Frühstück ein!
151
高濱虛子
Takahama Kyoshi (1874–1959)
Aus Matsuyama, Masaokas Geburtsort stammend, lernt er über seinen Klassenkameraden Kawahigashi Hekigotô* seinen späteren Lehrer Masaoka Shiki* kennen, der ihm den Dichternamen Kyoshi gibt. Will von früher Jugend an Literat werden, strebt daher kein abgeschlossenes
Studium an. Ein guter Geschäftsmann, gründet 1897 in Matsuyama einen Verlag, der nach
Tôkyô verlegt wird und die inzwischen bedeutende Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“)
herausgibt. Schreibt auch Essays und Novellen; schon 1934 umfasst sein Werk 12 Bände. Ab
1913 gilt jedoch sein Hauptinteresse dem Haiku und dessen konservativer Schule. Tritt auf
zunehmend dogmatische Weise für strikte Regeln in Form und Inhalt ein und fordert zugleich
eine thematische Konzentration auf Naturphänomene (kachô fûei). Übt mittels der Zeitschrift
Hototogisu wachsenden Druck auf Haiku-Dichter aus und wird zum entschiedenen und mächtigen Gegner der freien Haiku-Bewegung.
蛇
逃
げ
て
我
を
見
し
眼
の
草
に
残
る
152
山
吹
や
喉
が
ふ
く
れ
て
啼
く
蛙
ほ
ろ
〳
〵
と
泣
き
合
ふ
尼
や
山
葵
漬
仰
向
け
に
倒
れ
し
顏
の
案
山
子
か
な
美
し
き
羽
子
板
店
の
娘
か
な
utsukushiki
hagoita mise no
musume kana
In diesem Laden
voll hübscher Federballschläger
ein junges Mädchen
aomuke ni
taoreshi kao no
kagashi kana
Hintübergefallen
starrt zum Himmel empor –
die Vogelscheuche
horo-horo to
nakiau ama ya
wasabizuke
Es tropfen Tränen
aus allen Nonnenaugen –
eingelegter Meerrettich
yamabuki ya
nodo ga fukurete
naku kawazu
Goldröschenblüten!
Darunter quakt, die Kehle aufgebläht,
ein Frosch
hebi nigete
ware wo mishi me
kusa ni nokoru
Davon die Schlange.
Doch ihr Auge, das mich bannte,
blieb im Gras zurück
153
高橋淡路女
Takahashi Awajijo (1890–1955)
Aus der Präfektur Hyôgo. Absolviert in Tôkyô die Höhere Frauenschule und heiratet 1913.
Nach dem Tode ihres Mannes nach nur einjähriger Ehe schließt sie sich dem Kreis der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“) um Kyoshi und ab 1925 der Zeitschrift Ummo („Glimmer“)
des Iida Dakotsu* an.
句
を
知
り
て
四
十
年
の
春
の
宵
154
這
う
て
く
る
孫
の
掌
の
お
と
梅
雨
疊
い
の
ち
一
つ
わ
が
掌
に
寒
玉
子
旅
二
た
夜
一
と
夜
時
雨
れ
て
た
の
し
く
て
夢
に
逢
ひ
し
人
つ
れ
な
く
て
秋
の
蚊
帳
yume ni aishi
hito tsurenakute
aki no kaya
Den ich sah im Traum,
der Mann, wies mich ab –
Moskitonetz im Herbst …
tabi futayo
hitoyo shigurete
tanoshikute
Zwei Tage auf Reisen
eine Nacht goß es in Strömen –
welch ein Genuß!
inochi hitotsu
waga tanazoko ni
kantamago
Ein kleines Leben
in meinem Handteller:
ein Ei zur Winterzeit
haute kuru
mago no te no oto
tsuyudatami
Da kommt mein Enkel an,
krabbelt mit Händchen patschend –
draußen: die Regenzeit
ku wo shirite
yonjûnen no
haru no yoi
Im Haiku-Dichten
geübt an Frühlingsabenden
seit vierzig Jahren …
155
高屋窓秋
Takaya Sôshû (1910–1999)
Aus der Präfektur Aichi, absolviert ein Studium in Kumamoto an der Fakultät für Literatur.
Wird 1938 Angestellter einer Telegrafen- und Telefongesellschaft in der Mandschurei. Vater
von drei Kindern, verliert seine älteste Tochter in den Kriegswirren. 1951 gelangt er auf eine
leitende Stelle beim Rundfunk in Tôkyô. Nach dem Bruch Mizuhara Shûôshis* mit Takahama
Kyoshi* 1931 werden viele andere Haiku-Dichter zu einer Avantgarde-Bewegung („Neue Haiku-Bewegung“) ermutigt, die in Jahreszeitenwörtern (kigo) und „objektiver Betrachtung“
eine entscheidende Einschränkung sieht. Zu den führenden Dichtern dieser Bewegung gehört
auch Takaya Sôshû, zunächst als Mitarbeiter der Zeitschrift Ashibi („Besenstrauch“), wechselt er
dann zu Kyôdai haiku und zu Tenrô („Sirius“) über.
荒
地
に
て
石
も
死
人
も
風
發
す
156
秋
の
雲
が
が
た
ぴ
し
森
の
戀
乙
女
星
に
咳
き
咳
き
月
に
咳
き
咳
き
孤
兒
あ
る
く
子
が
失
せ
し
焦
土
つ
ち
か
い
薔
薇
ち
さ
し
荒
地
に
て
沼
が
ぶ
つ
ぶ
つ
星
夜
arechi nite
numa ga butsu-butsu
hoshi no yoru
In der Einöde –
es blubbert das Moor
in dieser Sternennacht …
ko ga useshi
shôdo tsuchikai
bara chisashi
Wo mein Kind starb, in der Erde
der Brandstätte, hege ich Rosen –
sie sind noch klein …
hoshi ni sekiseki
tsuki ni sekiseki
koji aruku
Hüstelt die Sterne an
hüstelt den Mond an
da geht ein Waisenkind …
aki no kumo ga
gatapishi mori no
koiotome
Herbstwolken am Himmel …
es knackt und knarrt im Wald
bei der Geliebten
arechi nite
ishi mo shinin mo
fûhatsu-su
In der Einöde:
Steine und Tote halten
lebhaft Zwiesprache – windgleich
157
高柳重信
Takayanagi Jûshin (1923–1983)
In Tôkyô geboren, studiert Jura an der Waseda-Universität. Schriftstellername auch Yamakawa
Semio. Nach seinem Abschluß schickt er seine Gedichte – meist im freien Stil und oft der Konkreten Poesie angenähert – an mehrere Zeitschriften. Von Tomizawa Kakio* im Haiku-Dichten
unterrichtet, gibt er seit 1952 mit ihm zusammen die Zeitschrift Bara („Rose“) heraus.
(3)
緋
色
の
雨
の
岬
の
靑
絹
の
情
死
(1)
か
た
つ
む
り
老
い
の
激
し
き
森
の
奧
の
(4)
こ
こ
ろ
の
雪
崩
158
つ
ら
な
る
あ
か
く
眠
る
と
き
も
谷
ま
森
や
風
下
の
(2)
白
く
な
る
不
眠
の
鴉
孤
島
に
て
kazashimo no
mori no oku no
oi no hageshiki
katatsumuri
unterm wind
in waldestiefe
die alterswilde
schnecke
kotô nite
fumin no karasu
shiroku naru
auf einsamer insel
die schlaflose krähe
wird weiß
aoginu no
ame no
jôshi
misaki no
hiiro no
blauseidener
regennasser
doppelliebestod
an der landzunge
scharlachrot
mori ya
tanima
mo
nemuru toki
akaku
tsuranaru
kokoro no nadare
wald und
schluchten
auch
wenn sie schlafen
sind rot
aufgereihte
herzlawinen
159
竹下しづの女
Takeshita Shizunojo (1887–1951)
Aus Fukuoka. Die künstlerisch begabte und sehr gebildete Dichterin absolviert die Lehrerbildungsanstalt und bleibt im Schuldienst bis zu ihrer Heirat 1912. Beginnt 1919 Haiku zu dichten, zunächst als Schülerin von Yoshioka Zenjidô*, später von Takahama Kyoshi*. Gehört seit
1920 zur Hototogisu-Gruppe. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1933 wird sie Bibliothekarin in ihrer Heimatstadt und widmet sich der Erziehung ihrer fünf Kinder. Das Dichten von
Haiku behält sie bei, wird Herausgeberin der Haiku-Zeitschrift Seisôken („Stratosphäre“), die ihr
ältester Sohn gründet, später wird sie darin unterstützt von Nakamura Kusatao*.
人
膚
に
肖
て
あ
た
た
か
き
枯
木
か
な
160
汗
臭
き
鈍
の
男
の
群
に
伍
す
化
粧
ふ
れ
ば
女
は
湯
ざ
め
知
ら
ぬ
な
り
寒
夜
鏡
に
褄
し
づ
ま
り
て
誰
か
彳
つ
子
を
負
う
て
肩
の
か
ろ
さ
や
天
の
川
ko wo oute
kata no karosa ya
amanogawa
Mein Kind auf dem Rücken
trägt sich leicht beim Anblick
der Milchstrasse …
kan'ya kagami ni
tsuma shizumarite
dare ka tatsu
Kalte Winternacht: Im Spiegel
streiche ich den Rocksaum glatt –
jemand steht draußen …
kewa fureba
onna wa yuzame
shiranu nari
Junge Mädchen
beim Schminken nach dem Bad –
kennen keine Erkältung!
ase kusaki
noro no otoko no
mure ni go-su
In einer Reihe
mit stumpfsinnigen Männern, alle
mit Schweißgeruch …
hito hada ni
nite atatakaki
karegi kana
So warm wie die Haut
eines Menschen ist die Rinde
dieses vertrockneten Baumes
161
種田山頭火
Taneda Santôka (1882–1940)
Ursprünglicher Name Taneda Shôichi, aus der Präfektur Yamaguchi, wo er zur Schule geht.
Mit 10 Jahren Selbstmord der Mutter. Besucht die Waseda-Universität (Fach Literatur), die er
wegen Alkoholproblemen nicht beendet. Wird 1911 mit Ogiwara Seisensui* bekannt, der ihn
für das Haiku – im freien Stil – begeistert. Nach Selbstmordversuchen verlässt er 1924 Frau
und Kind, schließt sich einem Zen-Tempel an und wird als Mönch der Sôtô-Schule ordiniert.
Reist jahrelang als Bettelmönch durch das Land, wie viele seiner Dichter-Vorfahren, und übernachtet zeitweilig in Tempeln und Einsiedlerhütten, ohne je die strenge tägliche HaikuDisziplin des tagebuchmäßigen Dichtens zu vernachlässigen.
こ
こ
を
死
に
場
所
と
し
草
の
し
げ
り
に
し
げ
り
162
こ
こ
に
白
髪
を
剃
り
落
し
て
去
る
死
の
し
づ
け
さ
は
晴
れ
て
葉
の
な
い
木
雪
の
あ
か
る
さ
が
家
い
つ
ぱ
い
の
し
づ
け
さ
笠
に
と
ん
ぼ
を
と
ま
ら
せ
て
あ
る
く
kasa ni
tombo wo tomarasete
aruku
Die Libelle auf meinem
Bambushut laß ich sitzen
und wandere …
yuki no
akarusa ga ie ippai no
shizukesa
Die Helligkeit des Schnees –
sie füllt das ganze Haus
mit Stille …
aus: „Drei Verse am Rande des Todes“
shi no
shizukesa wa harete
ha no nai ki
Die Stille des Todes
offengelegt:
Ein Baum ohne Blätter
koko ni
shirakami wo sori
otoshite saru
Hier schor man mir
mein weißes Haar.
Ich schüttel’ es ab und geh’ …
koko wo
shinibashô to shi
kusa no shigeri ni shigeri
Hier ist ein
guter Ort zum Sterben:
dichtestes Gräsergewirr
163
醉
う
て
こ
ほ
ろ
ぎ
と
ね
て
ゐ
た
よ
164
旅
の
法
衣
が
か
わ
く
ま
で
雜
草
の
風
乞
ひ
あ
る
く
水
音
の
ど
こ
ま
で
も
咳
が
や
ま
な
い
背
中
を
た
た
く
手
が
な
い
seki ga yamanai
senaka wo tataku
te ga nai
Der Husten nimmt kein Ende!
Keine Hand, die
meinen Rücken klopft
koi'aruku
mizuoto no
doko made mo
Bettelnd immer nur
dem Geräusch des Wassers
folgen – wer weiß wohin …
tabi no hôe ga
kawaku made
zassô no kaze
Die Kutte des Wandermönchs
zum Trocknen ausgelegt:
Wind in den Sommergräsern
youte
kôrogi to
nete ita yo
Weinselig
hab’ ich geschlafen
zusammen mit den Grillen!
165
藤後左右
Tôgo Sayû (1908–1991)
Arzt aus der Präfektur Kagoshima, beschäftigt sich seit 1928 intensiv mit Haiku, auch unter dem
Einfluß von Takahama Kyoshi*, später in Zusammenarbeit mit dem Dichter Hirahata Seitô*.
襖
が
す
こ
し
開
い
て
ゐ
る
女
の
炎
166
あ
る
露
地
に
蜜
柑
の
花
の
香
の
流
れ
汽
車
の
前
谷
の
れ
ん
げ
田
現
れ
ん
と
待
つ
萩
の
間
の
く
ろ
髪
な
れ
や
ぬ
す
み
見
る
炎
天
や
行
く
も
か
へ
る
も
熔
岩
の
み
ち
enten ya
yuku mo kaeru mo
raba no michi
Sengende Hitze –
mein Hin- und Rückweg
über ein Lava-Feld!
hagi no ma no
kurokami nareya
nusumimiru
Im „Buschkleeblüten“-Zimmer des Gasthofs
ein schwarzer Haarschopf!
Heimlich spähe ich …
kisha no mae
tani no rengeta
awaren to matsu
Gleich vor dem Zug
das kleine Lotosfeld
erwarte ich bewegt …
aru roji ni
mikan no hana no
ka no nagare
Eine kleine Seitengasse
durchzieht der Duft
von Mandarinenblüten …
fusuma ga
sukoshi aite iru
onna no homura
Durch einen schmalen Spalt
der Schiebetür:
Wangenrot eines Mädchens!
167
富田木歩
Tomita Moppo (1897–1923)
Aus Tôkyô, durch eine Krankheit im Kleinkindalter verkrüppelt. Seine Familie ist so arm, daß
sie es sich nicht leisten kann, ihn in die Volksschule zu schicken. Lernt schreiben von Papierfetzen, die er aufliest, und durch Spielkarten. Mit 17 Jahren nehmen sich Hara Sekitei* und später
Usuda Arô* seiner an und fördern sein Talent. Kommt im Großen Erdbeben von 1923 um.
醫
師
の
來
て
垣
覗
く
子
や
黐
の
花
168
少
年
が
犬
に
笛
聽
か
せ
を
る
月
夜
菓
子
や
れ
ば
日
々
來
る
犬
や
秋
の
雨
う
そ
寒
や
障
子
の
穴
を
覗
く
猫
我
が
肩
に
蜘
蛛
の
絲
張
る
秋
の
暮
Krankenlager
waga kata ni
kumo no ito haru
aki no kure
An meine Schulter
spannte eine Spinne ihren Faden –
Herbstabend
usosamu ya
shôji no ana wo
nozoku neko
Spätherbstliche Kühle!
Durch ein Loch in der Schiebetür
späht die Katze
kashi yareba
hibi kuru inu ya
aki no ame
Leckerbissen zu holen
kommt der Hund nun täglich –
Herbstregen
shônen ga
inu ni fue kikase
oru tsukiyo
Ein Knabe spielt seinem Hund
auf der Flöte vor,
die ganze Mondnacht
ishi no kite
kakinozoku ko ya
mochi no hana
Der Arzt ist gekommen,
Kinderkopf am Zaun,
von Stechpalmenblüten umkränzt
169
富安風生
Tomiyasu Fûsei (1885–1979)
In der Präfektur Aichi in der Nähe von Nagoya geboren, geht zum Jura-Studium nach Tôkyô
und studiert Deutsches Recht. Im Öffentlichen Dienst als Beamter des Verkehrsministeriums
kommt er in die höhere Verwaltung und wird stellvertretender Verkehrsminister. Tritt 1937
zurück, um sich ganz der Dichtung zu widmen. Schon früh von Yoshioka Zenjidô* in die Technik des Haiku eingeführt, dichtet er seit 1918 im Geiste Takahama Kyoshis*. Seine Haiku erscheinen zunächst hauptsächlich in der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“). Später ist er
Mitbegründer der Zeitschrift Wakaba („Frisches Laub“) und seit 1928 deren Herausgeber.
螢
火
や
山
の
や
う
な
る
百
姓
家
170
朝
寒
や
汽
罐
車
ぬ
く
く
顏
を
過
ぐ
箱
庭
に
病
葉
落
ち
て
大
い
な
り
ハ
ン
ケ
チ
振
つ
て
別
れ
も
愉
し
少
女
等
は
一
め
ん
の
落
花
の
水
に
蛙
の
眼
満
月
を
生
み
し
湖
山
の
息
づ
か
ひ
mangetsu wo
umishi kozan no
ikizukai
Die Berge um den See
gebaren diesen Vollmond,
atmen jetzt auf …
ichimen no
rakka no mizu ni
kaeru no me
Über das Wasser
verstreut nur buntes Laub,
darin ein Froschauge
hankechi futte
wakare mo tanoshi
otomera wa
Taschentücher flattern,
sie genießen selbst den Abschied:
junge Mädchen!
hakoniwa ni
wakuraba ochite
ôi nari
In den Miniaturgarten
fiel ein krankes Blatt –
liegt übergroß da
asasamu ya
kikansha nukuku
kao wo sugu
Kalter Spätherbstmorgen!
Warm zieht eine Dampflok vorbei
an meinem Gesicht …
hotarubi ya
yama no yô naru
hyakushôya
Glühwürmchenlichter –
und, wie ein Berg so groß,
ein Bauernhaus!
171
春
月
や
岩
を
刳
り
し
温
泉
宿
道
172
談
笑
の
い
と
朗
か
に
梅
雨
の
宿
秋
の
庭
犬
去
り
猫
來
ま
た
犬
來
る
工
女
歸
る
浴
衣
に
赤
い
帶
し
め
て
學
問
の
胡
座
の
膝
の
小
猫
か
な
gakumon no
agura no hiza no
koneko kana
Im Schneidersitz
in meine Studien vertieft,
ein Kätzchen auf dem Schoß …
kôjo kaeru
yukata ni akai
obi shimete
Fabrikmädchen kehren heim
im Baumwoll-Kimono
mit rotem Gürtel
aki no niwa
inu sari neko ki
mata inu kuru
Vorgarten im Herbst:
da geht der Hund, kommt die Katze,
dann kommt der Hund zurück …
danshô no
ito hogaraka ni
tsuyu no yado
Reden, Gelächter:
Fröhlicher Lärm aus der Schänke
in der Regenzeit!
shungetsu ya
iwa wo egurishi
yuyado michi
Frühlingsmond leuchtet,
schneidet den Weg in den Fels
zum Gasthaus der heißen Quellen
173
富澤赤黄男
Tomizawa Kakio (1902–1962)
Aus der Präfektur Ehime, studiert an der Waseda-Universität. Beginnt 1923 mit der Veröffentlichung seiner Gedichte in Matsune Tôyôjôs Shibugaki („Bittere Kaki“), später in der Zeitschrift
Izumi („Quell“). Ab 1934 wichtiges Mitglied der „Neuen Haiku-Bewegung“ (Shinkô haiku) und
deren Zeitschrift Kikan („Flaggschiff“). Herausgeber verschiedener Zeitschriften, auch nach
dem Krieg, zuletzt von Bara („Rose“).
乳
房
を
拭
へ
ば
空
の
き
ら
き
ら
す
174
花
の
露
こ
ぼ
れ
て
あ
つ
き
人
の
肌
戀
び
と
は
土
龍
の
や
う
に
ぬ
れ
て
ゐ
る
妻
は
湯
に
わ
れ
に
は
濃
ゆ
き
冬
夕
焼
わ
が
日
記
尺
取
蟲
は
壁
を
匍
ふ
夕
風
の
馬
も
女
も
風
の
中
yûkaze no
uma mo onna mo
kaze no naka
Im Abendwind –
ein Pferd und eine Frau
windumweht …
waga nikki
shakutorimushi wa
kabe wo hau
Mein Tagebuch:
eine Raupe kriecht nach und nach
die Wand empor …
tsuma wa yu ni
ware ni wa koyuki
fuyu yûyake
Im heißen Quellbad
schmiegt sich meine Frau an mich.
Wintersonne sinkt
koibito wa
mogura no yô ni
nurete iru
Meine Geliebte,
naß ist sie
wie ein Maulwurf …
Zwei Gedichte aus: „Sechs Studien zum Motiv ,Frau‘“
hana no tsuyu
koborete atsuki
hito no hada
Tauperlen auf Blüten
rollen herab heiß auf
ihre Haut
chibusa wo
nugueba sora no
kira-kira su
Wie ich ihre Brüste abtrockne,
strahlt der Himmel
mir hell
175
春
雷
は
乳
房
に
ひ
び
く
も
の
な
り
や
176
人
穴
を
掘
れ
ば
寒
月
穴
の
上
咳
け
ば
枯
木
の
天
も
咳
け
り
shiwabukeba
karegi no ten mo
shiwabukeri
Ich huste, und da hustet
auch der Himmel
hinter dürrem Geäst
hito ana wo
horeba kangetsu
ana no ue
Hat einer ein Loch gegraben
in die Erde, erscheint darüber
der kalte Wintermond
shunrai wa
chibusa ni hibiku
mono nari ya
Frühlingsgewitter –
der Donner hallt wider
in einer Mädchenbrust
177
津田淸子
Tsuda Kiyoko (1920– )
Dichterin aus der Präfektur Nara, absolviert die Lehrerbildungsanstalt in Nara und wird von
1948 an von Hashimoto Takako* und später von Yamaguchi Seishi* unterwiesen. Publiziert seit
dieser Zeit in Tenrô („Sirius“).
梅
雨
の
夜
空
へ
工
場
の
熱
の
煙
178
漁
夫
の
葬
舟
を
熱
砂
に
曳
き
あ
げ
て
ハ
ン
カ
チ
を
淸
水
に
絞
る
泣
き
し
あ
と
女
の
月
日
白
き
紙
漉
き
重
ね
て
は
逢
曳
や
女
に
日
傘
の
影
加
は
る
aibiki ya
onna ni higasa no
kage kuwaru
Rendezvous:
zum Mädchen gesellt sich der Schatten
eines Sonnenschirms
me no tsukihi
shiroki kamisuki
kasanete wa
Die Zeit einer Frau:
geschöpfte Papierbögen, weiß,
aufeinandergeschichtet
hankachi wo
shimizu ni shiboru
nakishi ato
Mein Taschentuch
winde ich im klaren Wasser aus,
nach dem Weinen
gyofu no sô
fune wo nessa ni
hikiagete
Fischer-Begräbnis:
das Boot hinaufgezogen
auf den heißen Sand
tsuyu no yoru
sora he kôba no
netsu no kemu
In den Nachthimmel
der Regenzeit schickt eine Fabrik
heißen Rauch
179
上野泰
Ueno Yasushi (1918–1973)
Aus Yokohama. Abschluß an der Rikkyô-Universität. Heiratet 1942 die sechste Tochter von
Takahama Kyoshi*. Mitarbeiter an der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“).
サ
ン
フ
ラ
ン
シ
ス
コ
對
岸
海
女
歩
く
180
月
光
や
閾
は
川
の
如
流
れ
笑
ふ
か
に
泣
く
か
に
雛
の
美
し
く
洗
ひ
髪
夜
空
の
如
く
美
し
や
學
帽
を
耳
に
支
へ
て
入
學
す
咽
喉
佛
見
せ
た
る
吾
子
の
初
笑
ひ
nodobotoke
misetaru ako no
hatsuwarai
Über meinen Adamsapfel
lacht unser Kindchen –
das erste Mal!
gakubô wo
mimi ni sasaete
nyûgaku su
Die Mützen
sitzen ihnen auf den Ohren
am ersten Schultag
araigami
yozora no gotoku
utsukushi ya
Ihre Haare frischgewaschen:
schön sind sie
wie der Nachthimmel!
warau ka ni
naku ka ni hina no
utsukushiku
Lachen sie oder
weinen sie – die Puppen
sind doch immer schön
gekkô ya
shikimi wa kawa no
gotoku nagare
Im Licht des Mondes
treibt, wie ein Fluß,
die Türschwelle dahin …
San Furanshisuko
taigan
ama aruku
Am Ufer gegenüber
von San Francisco
geht die Fischerin …
181
臼田亞浪
Usuda Arô (1879–1951)
Aus der Präfektur Nagano, kommt schon früh in die Hauptstadt, wo er hart arbeiten muss, um
ein juristisches Studium zu absolvieren. Nach Abschluß der Universität Journalist. 1914 durch
ein Nierenleiden zur Muße gezwungen, entdeckt er das Haiku als lyrisches Medium, um die
„Wahrheit (makoto) des Menschen und der Natur“ auszudrücken.
す
が
り
ゐ
て
草
と
枯
れ
ゆ
く
冬
の
蠅
182
打
水
や
砂
に
滲
み
ゆ
く
樹
々
の
影
屋
根
に
子
を
育
て
て
猫
が
月
に
居
る
氷
上
に
霰
こ
ぼ
し
て
月
夜
か
な
hyôjô ni
arare koboshite
tsukiyo kana
Nächtlicher Hagel
verstreut über der Eisfläche
in mondheller Nacht
yane ni ko wo
sodatete neko ga
tsuki ni oru
Auf dem Dache
bemuttert sie ihre Jungen,
Katze im Mondschein
uchimizu ya
suna ni shimiyuku
kigi no kage
Frisch gesprengter Garten.
In den Sand saugen sich
die Schatten der Bäume
sugariite
kusa to kareyuku
fuyu no hae
Festgeklammert
an einen Halm, verdorrt sie mit ihm –
die Winterfliege
183
渡邊水巴
Watanabe Suiha (1882–1946)
Sohn des Malers Watanabe Shôtei (1851–1918) aus Tôkyô, lernt Haiku-Dichten bei Naitô
Meisetsu* und Takahama Kyoshi*. Herausgeber der Zeitschrift Kyokusui („Gewundener Wasserlauf“). Ab 1916 Mitarbeiter auch an der Zeitschrift Ummo („Glimmer“) zusammen mit Murakami Kijô*, einem Schüler Masaoka Shikis*. Über ein Dutzend Haiku-Werke.
て
の
ひ
ら
に
落
花
と
ま
ら
ぬ
月
夜
か
な
184
落
花
踏
む
や
し
ば
し
雀
と
夕
焼
け
て
手
を
う
た
ば
く
づ
れ
ん
花
や
夜
の
門
老
妓
ひ
と
り
春
夜
の
舞
の
足
袋
白
し
Das Teehaus Ichiriki in Kyôto
rôgi hitori
shun'ya no mai no
tabi shiroshi
Alte Geisha, für sich allein
beim Tanz in der Frühlingsnacht –
weiß leuchten ihre Socken …
te wo utaba
kuzuren hana ya
yoru no kado
Klatschte ich in die Hände,
zerfiele sie schon – die Blüte
am nachtdunklen Tor …
ochiba fumu ya
shibashi suzume to
yû yakete
Durchs Herbstlaub stapfen
eine Weile ein Spatz und ich –
im Abendrot
te no hira ni
rakka tomaranu
tsukiyo kana
In meiner Hand bleibt
keine fallende Blüte liegen –
in dieser Mondnacht …
185
山口波津女
Yamaguchi Hatsujo (1906–1985)
Ursprünglicher Name Asai Umeko. Aus Ôsaka, absolviert dort die Höhere Töchterschule.
Lernt 1926 Yamaguchi Seishi* kennen, ihren maßgeblichen Haiku-Lehrer, den sie 1928 heiratet. Gehört zum Stab der Zeitschriften Ashibi („Besenstrauch“) und Tenrô („Sirius“).
冬
薔
薇
活
く
鋭
き
棘
を
水
に
沈
め
186
ぬ
れ
し
手
の
と
び
ら
を
あ
く
る
冷
藏
庫
重
き
房
な
り
し
葡
萄
を
食
べ
終
る
金
魚
夜
を
如
何
に
過
す
や
人
は
寢
る
父
の
間
の
煖
爐
を
焚
け
り
父
は
亡
く
chichi no ma no
danro wo takeri
chichi wa naku
In Vaters Zimmer
den Ofen angezündet.
Vater ist nicht mehr …
kingyo yo wo
ika ni sugosu ya
hito wa neru
Wie verbringen die
Goldfische nur die Nacht?
Die Menschen schlafen
omoki fusa
narishi budô wo
tabeowaru
Die riesige Traube –
bis zur letzten Beere
hab ich sie verdrückt!
nureshi te no
tobira wo akuru
reizôko
Mit nassen Händen
will ich sie öffnen
die Tür meines Kühlschranks
fuyubara iku
surudoki toge wo
mizu ni shizume
Winterrosen arrangieren:
ihre spitzen Dornen
ins Wasser tauchen
187
山口誓子
Yamaguchi Seishi (1901–1994)
Ursprünglicher Name Yamaguchi Chikahiko. Aus Kyôto, verbringt seine Kindheit zwischen
Kyôto und Sachalin, wo sein Großvater eine Zeitungsdruckerei besaß. Absolviert bis 1926 ein
Jura-Studium an der Universität Tôkyô, wird dann vom Versicherungskonzern Sumitomo
eingestellt, muß sich jedoch wegen eines Lungenleidens 1942 zurückziehen. Ausnehmend
produktiver Dichter und Schriftsteller, zunächst gefördert von seinem Lehrer Takahama Kyoshi*. Herausgebertätigkeit bei mehreren Zeitschriften, zunächst bei Hototogisu („Bergkuckuck“),
die er wegen Differenzen über die Thematik des neuen Haiku verlässt; er spricht sich jedoch
für die Beibehaltung des 5-7-5-Silbenschemas und des Jahreszeitenwortes aus. Bedeutende
Rolle in der „Neuen Haiku-Bewegung“ (Shinkô haiku) und bei der Förderung des neuen Haiku
nach dem Krieg, Mitherausgeber von Ashibi („Besenstrauch“), 1948 Gründer und Herausgeber
der Zeitschrift Tenrô („Sirius“).
地
に
落
ち
て
紙
ひ
び
く
凧
秋
祭
188
紅
鼻
の
感
冒
の
神
父
と
坂
登
る
ひ
と
つ
蚊
帳
妻
も
み
と
り
を
終
へ
て
寢
る
高
原
の
裸
身
靑
垣
山
よ
見
よ
臼
を
碾
き
や
み
し
寒
夜
の
底
知
れ
ず
usu wo hiki
yamishi kan'ya no
soko shirezu
Das Mörserstampfen
hört auf – unergründlich
das Dunkel der Winternacht
kôgen no
rashin aokaki
yama yo miyo
Auf der Almwiese lieg’ ich
nackt, umringt von den
Bergen – schaut her!
hitotsu kaya
tsuma mo mitori wo
oete neru
Unter dem einen Mückennetz
hat meine Frau mich lange gepflegt –
nun schläft auch sie
akahana no
kaze no shimpu to
sakanoboru
Mit dem Priester
und seiner roten Schnupfnase
steig’ ich den Hang hoch
chi ni ochite
kami hibiku tako
akimatsuri
Die Kinderdrachen fallen zu Boden,
das Papier raschelt –
Herbstfest
189
山口靑邨
Yamaguchi Seison (1892–1988)
Eigentlicher Name Yamaguchi Kichirô. Aus Morioka stammend, absolviert in Tôkyô ein Studium an der Technischen Hochschule. Zunächst als Ingenieur im Bergbau angestellt, wird dann
Ministerialbeamter und lehrt schließlich bis 1953 als Professor an der Universität Tôkyô. Anfang der 20er Jahre von Takahama Kyoshi* zum Haiku-Dichten angeregt. Begründet die HaikuGruppe an der Universität Tôkyô. Herausgeber der Zeitschrift Natsukusa („Sommergras“).
Seine Gedichtbände sind ebenso zahlreich wie seine Miszellen-Werke.
ビ
ス
マ
〡
ク
好
み
し
鰊
吾
も
食
ふ
190
湯
女
踊
る
溪
聲
夜
は
調
變
へ
摘
草
や
嬋
娟
と
し
て
人
の
指
本
を
讀
む
菜
の
花
明
り
本
に
あ
り
hon wo yomu
na no hanaakari
hon ni ari
Ich lese ein Buch.
Auf die Seiten fällt der Widerschein
von voll erblühtem Raps …
tsumikusa ya
senken toshite
hito no yubi
Beim Kräuterpflücken:
Mädchenfinger bewegen sich
voller Anmut
yuna odoru
keisei yoru wa
shirabe kae
Badehausmädchen tanzen.
Sogar der nächtliche Bergbach
ändert seine Melodie
Bisumâku
konoshimi nishin
ware mo kuu
Den Bismarck
so sehr liebte, den Hering,
verspeise auch ich jetzt!
191
吉岡禪寺洞
Yoshioka Zenjidô (1889–1961)
Aus der Präfektur Fukuoka. Zunächst Journalist und Lehrer, gibt bald seinen Beruf auf, um sich
ausschließlich dem Dichten von Haiku zu widmen. Seine Gedichte erscheinen zunächst in der
Haiku-Kolumne der Tageszeitung Nippon shimbun, dann nimmt sie Takahama Kyoshi* in der Zeitschrift Hototogisu („Bergkuckuck“) auf. Schließt sich später jedoch der „Neuen HaikuBewegung“ an, die sich gegen das „Naturdichtung“-Diktum (kachô fûei) von Takahama Kyoshi
wendet. Nach dem Krieg tritt er für einen umgangssprachlich „hingesprochenen“ Haiku-Stil ein.
凍
死
者
の
た
ま
し
い
が
一
枚
の
む
し
ろ
の
下
か
ら
昇
天
す
る
192
夕
焼
が
冬
木
の
幹
を
も
や
そ
う
と
す
る
黑
揚
羽
が
去
つ
た
或
女
の
よ
う
に
麥
笛
吹
い
て
い
る
少
女
の
戀
の
日
が
遠
い
mugibue
fuite iru shôjo no
koi no hi ga tôi
Strohhalmflöte
bläst das kleine Mädchen …
fern noch sind die Tage der Liebe!
kuroageha ga satta
aru onna no yô ni
Der schwarze Schwalbenschwanz flog fort –
so wie eine gewisse Frau …
yûyake ga
fuyuki no miki wo
moyasô to suru
Abendsonnenglut:
Schickt sich an,
den Winterwald in Brand zu setzen
tôshisha no tamashii ga
ichimai no mushiro no shita kara
shôten suru
Seele des Erfrorenen:
der Binsenmatte entsteigt sie
und fährt gen Himmel
193
Angesichts der großen Zahl von Haiku-Autoren ist es nicht gelungen, die Anschriften wirklich aller Autoren bzw. deren
Hinterbliebener ausfindig zu machen. Diejenigen, die erreicht wurden, gaben ihre Zustimmung auf ausgesprochen freundliche Weise, woraus die Hoffnung erwuchs, dies möge bei denjenigen, die nicht ermittelt werden konnten, ebenso der Fall
sein. Sollte jemand unter den Inhabern der Autorenrechte Einwände haben, bitte ich darum, sich an mich zu wenden.
Elisabeth Schneider
Anhang
Überblick über die erwähnten Haiku-Zeitschriften
Akashiya
„Scheinakazie“; 1945~
Ashibi
„Besenstrauch“; 1931~
Banryoku
„Sommerliches Grün“; 1946~
Bara
„Rose“; 1952~
Dôhyô
„Wegweiser“; 1951~
Dojô
„Auf der Erde“; 1922~
Fue
„Flöte“; 1946~
Haiku
„Haiku“; 1952~
Haiku seikatsu
„Haiku-Leben“; 1934~
Haisô
„Haiku-Dickicht“; 1901~
Hama
„Strand“; 1946~
Hiroba
„Offener Platz“; 1938~
Hototogisu
„[Berg-]Kuckuck“; 1897~
Izumi
„Quell“; 1928~
Kabiya
„Nächtliches Wachtfeuer“; 1921~
Kaikô
„Meeresrot“; 1915~
Kanrai
„Wintergewitter“; 1940~
Kareno
„Herbstfeld“; 1921~
Katsuragi
„Katsuragi“, benannt nach dem Berg Katsuragi no yama; 1929~
Kazahana
„Verwehte Schneeflocken“; 1947~
Kaze
„Wind“; 1946~
Keitôjin
„Hahnenkamm-Feldzug“; 1929~
Kidachi
„Holzschwert“, geht aus der Zeitschrift Uzue hervor; 1909~
Kikan
„Flaggschiff“; 1935~
Kobushi
„Kobusmagnolie“; 1924~
197
Kokumin haidan „Haiku-Platform des Volkes“, regelmäßige Gedichtkolumne in der Zeitung Kokumin shimbun; 1896~
Komakusa
„Doppelsporn“; 1932~
Ku to hyôron
„Haiku-Vers und Kritik“; 1931~
Kyôdai haiku
Haiku-Zeitschrift, die aus einer Haiku-Gruppe an der Universität Kyôto hervorging; 1933~
Kyokusui
„Gewundener Wasserlauf“; 1916~
Natsukusa
„Sommergras“; 1930~
Nihon haiku
„Haiku Japans“, Kolumne in der Zeitung Nihon oyobi Nihonjin; 1907~
Raikô
„Blitz“; 1948~
Riraza
„Gilde der Lyra“; 1949~
Seigen
„Blauer Himmel“; 1949~
Seisôken
„Stratosphäre“, Organ der Oberschul-Haiku-Bewegung; gegründet 1937
Shakunage
„Rhododendron“; 1915~
Shibugaki
„Bittere Kaki“; 1915~
Shuntô
„Licht in der Frühlingsnacht“; 1946~
Sôun
„Wolkenbänder“; 1911~
Suimei
„Sonnenlicht auf dem Wasser“; 1930~
Tamamo
„Seetang“, Frauen-Haiku-Zeitschrift; 1930~
Tenrô
„Sirius“; 1948~
Tsuru
„Kraniche“; 1937~
Ummo
„Glimmer“; 1915/1917~
Wakaba
„Frisches Laub“; 1917/1928~
Yatôha
„Nachträuber“; 1952~
Angegeben ist in der Regel nur das Gründungsjahr. Viele Zeitschriften erlebten in der Folge eine wechselhafte Geschichte,
inklusive Einstellung, Verbot, Neugründung oder Überführung in ein anderes Organ.
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Biographien der Übersetzer
Oscar Benl (25.5.1914 in Nürnberg ~ 21.11.1986 in Hamburg)
1933 Jura-Studium in München und Hamburg, 1936 Referendarexamen in Hamburg.
1935–1936 Studium der Sinologie in Hamburg.
1935–1940 Studium der Klassischen japanischen Literatur an der Kaiserlichen Universität Tôkyô, intensive Beschäftigung
mit dem Zen-Buddhismus.
1941–1945 Wissenschaftliche Hilfskraft bzw. Wissenschaftlicher Assistent bei Wilhelm Gundert (1880–1971) am Seminar
für Sprache und Kultur Japans der Hansischen Universität, wo er 1947 über Das künstlerische Ideal Seami’s promoviert.
1941–1945 Militärdienst, u. a. als Wehrmachtsdolmetscher, ab 1944 an der deutschen Botschaft in Tôkyô.
1947 Rückkehr nach Deutschland.
1948 Habilitation für das Fach Japanologie an der Universität München über Die Entwicklung der japanischen Poetik bis zum
16. Jahrhundert; Wiederaufnahme der Assistententätigkeit an der Universität Hamburg.
1953 Ernennung zum Außerplanmäßigen, 1956 zum Ordentlichen Professor.
Bis zu seiner Emeritierung 1983 als Ordinarius am Seminar für Sprache und Kultur Japans der Universität Hamburg tätig,
dem er bis zuletzt als Lehrer und Forscher aufs Engste verbunden bleibt.
Zeit seines Wirkens zahlreiche Übersetzungen sowohl der traditionellen Literatur Japans, darunter Yoshida Kenkôs Tsurezuregusa (Betrachtungen aus der Stille, dt. 1963), Ueda Akinari und Ihara Saikaku, vor allem aber das Monumentalwerk GenjiMonogatari. Die Geschichte vom Prinzen Genji, aber auch von Autoren wie Natsume Sôseki, Tayama Katai, Nagai Kafû, Shiga
Naoya, Akutagawa Ryûnosuke, Kawabata Yasunari, Tanizaki Junichirô, Dazai Osamu, Inoue Yasushi oder Abe Kôbô,
womit er dem deutschsprachigen Publikum einen neuartigen Einblick auch in die moderne japanische Literatur ermöglicht.
Nachruf von Annelotte Piper: „Erinnerungen an Oscar Benl (1914–1986)“, in: Hefte für Ostasiatische Literatur, Nr. 6, 1987,
S. 99–105; Bibliographie von Herbert Worm: „Schriftenverzeichnis Oscar Benl (1914–1986)“, in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (NOAG), Nr. 145/146, 1989, S. 87–107.
199
Géza S. Dombrády (10.2.1924 in Budapest ~ 6.2.2006 in Hamburg)
Studium der Romanistik, Volkswirtschaft, Sinologie und Japanologie in München, 1956 Dissertation über Kobayashi Issas
Mein Frühling (Ora ga haru, deutsch 1959 und 1983) bei seinem Lehrer Horst Hammitzsch.
1957–1965 Assistent bei Oscar Benl am Seminar für Sprache und Kultur Japans der Universität Hamburg; zu Schwerpunkten seiner Forschungsarbeit und Lehre werden intensive Studien der literarischen und geistesgeschichtlichen Tradition
Japans, insbesondere der drei großen edo-zeitlichen Dichter Bashô, Buson und Issa.
1964 Habilitation über den rangaku-Gelehrten Watanabe Kazan (erschienen 1968).
1966 Übernahme eines japanologischen Lehrstuhls an der Universität Hamburg, daneben Lehraufträge am Ostasiatischen
Seminar der Universität zu Köln.
1978 Übernahme des neu gegründeten japanologischen Lehrstuhls in Köln, den er bis zu seiner Emeritierung 1989 innehat.
Umfangreiche Übersetzungsarbeiten mit ausführlichem Kommentar aus dem Bereich der haikai-Dichtung, neben Issas Mein
Frühling und Die letzten Tage meines Vaters (Chichi no shûen nikki, deutsch 1985) eine umfangreiche Bearbeitung von Matsuo
Bashôs Hauptwerk Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland (Oku no hosomichi, deutsch 1985) und eine Anthologie der wichtigsten Gedichte Yosa Busons, Dichterlandschaften (1992).
Intensive Beschäftigung mit der Schriftkultur Japans, Übersetzung theoretischer Texte zur japanischen Schriftkunst.
Nachruf und Bibliographie von Jörg B. Quenzer, in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (NOAG),
Nr. 181/182, 2007, S. 15–27.
200
Roland Schneider (12.10.1939 in Maffersdorf ~ 4.8.2007 in Hamburg)
1967 Dissertation über Sprache und Stil der mittelalterlichen Rezitationskunst der Kôwaka-mai bei seinen Lehrern Oscar
Benl und Günther Wenck.
Ab 1967 Assistent am Seminar für Sprache und Kultur Japans der Universität Hamburg.
1970–1975 japanologischer Lehrstuhl an der FU Berlin.
1975–1983 japanologischer Lehrstuhl an der Universität Tübingen.
1983 bis zu seiner Emeritierung 2005 in der Nachfolge Oscar Benls Ordinarius in Hamburg. Im Mittelpunkt seiner sprachund literaturwissenschaftlichen Forschungstätigkeit stehen ab Mitte der 1980er Jahre vor allem die „Gedichtwettstreite der
Berufe“ (shokunin utaawase, dt. bei Harrassowitz, Wiesbaden 1995), im Rahmen breit angelegter Untersuchungen zur mittelalterlichen Sozial- und Kulturgeschichte.
1987 Gastprofessur am Nationalinstitut zur Erforschung der japanischen Literatur (Kokubungaku kenkyû shiryôkan) in
Tôkyô.
1993 Gastprofessur am Collège de France in Paris, Verleihung der « Médaille d´Or ».
1997 Ehrendoktorwürde der Städtischen Universität Ôsaka, an der er 1991 eine Gastprofessur wahrgenommen hatte.
Ab 1998 Mitherausgeber am Projekt der Übersetzung des „Buddhistischen Lexikons“ (Sôgô bukkyô daijiten), angesiedelt am
Ekô-Haus der Japanischen Kultur, Düsseldorf.
2007 Auszeichnung mit dem japanischen „Orden der Aufgehenden Sonne mit Strahlen am Halsband“ für seine Verdienste
als Lehrer, Forscher und Förderer der deutsch-japanischen Freundschaft.
Nachruf und Bibliographie von Kay Genenz, in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (NOAG),
Nr. 181/182, 2007, S. 31–43; Nachruf von Klaus Vollmer, in: Oriens Extremus (OE), Nr. 46, 2007, S. 10–15; Nachruf
von Gregor Paul, in: Hôrin. Vergleichende Studien zu japanischen Kultur, Nr. 13, 2006, S. 9–11.
201
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